grillmoebel
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08 Jan 2019
fandom of the opera (3)

Überhaupt das künstlerische Werk: Über all diesem Gehype wird man geradezu dazu gedrängt, es zu vergessen. Dabei war es über einen langen Zeitraum das, worum es ging, bevor es verschiedene Verminderungsformen durchlaufen musste (denn die Agenten der Verwertung forderten es):
Das Debutalbum oder wahlweise das Album des Durchbruchs, dann das Konzept der Hits, also dass sich Angebot und Nachfrage in einer Art Musik gewordenen selbsterfüllenden Prophezeihung gegenseitig verstärken, bis die Lieder, um die es geht, dadurch endgültig geadelt werden, dass sie garantiert niemand mehr hören will. Ein Lied ist dann ein Hit, wenn es tot ist.
Gab es zunächst Hit-Alben und das schreckliche Brauchtum der Single-Auskopplung*, folgte eine Phase der one hit wonders, also ein für die Musikgruppen unerträglicher Zustand, in dem nur noch ein winziger Bruchteil des künstlerischen Werks (s.o.) überhaupt der öffentlichen Wahrnehmung anheim fällt.
Wie kann es noch schlimmer kommen? Der Kulturindustrie fiel wie immer etwas ein und so zementierten sich bis heute alle diese Entwicklungen gleichzeitig und gegenseitig und verbanden sich mit der kapitalistischen Logik zu dem, was immer noch Musikbusiness genannt wird. Dieses gibt nun Regeln vor, nach denen die neuen Berühmtheiten herangezüchtet werden** und wer erst mal Berühmtheit erlangt hat, kann sich darauf verlassen, dass jede neue Veröffentlichung abgenickt wird. Sollte menschliches Laster o.ä. dazwischen kommen, hofft man entweder darauf, dass das Harmoniebedürfnis der Konsumierenden größer ist als die disruptive Kraft der jeweiligen Irritation*** oder die schwierige Person kann sich auf den üblichen Karriereende-Comeback-Kreislauf verlassen.
Doch wie kann eigentlich etwas populär sein, wenn es nur noch abgenickt wird? Genau das geschieht da: Musikstar Dingenskirchen koppelt eine Single aus und das Publikum sagt ja oder zumindest ok. Das wichtige an diesem Prozess ist, dass es das Album oder die Single dazu nicht hören muss. Das ist die Errungenschaft dieser Zeit: Das künstlerische Werk ist überflüssig geworden.
Künstliche Produktion von Liedern Tracks, die Ausdruck von nichts sind und für die es nie einen Grund gab. Was früher abschätzig “Filler” genannt wurde, hat die Hits gänzlich ersetzt.
Dann: Beat-Datenbanken, also Verschachern des künstlerischen Werkes auf Nimmerwiedersehen**** an den Höchstbietenden. Und sollte sich zwischen all diesem Unfug noch jemand für das künstlerische Werk interessieren, so geschieht es nur noch im Interesse eines Sammlers, also quantitativ statt qualitativ: Leute, die jedes Konzert einer Band besuchen oder zwischen den zahllosen Alben und Bootlegs von Johnny Cash alles detailliert ausdifferenzieren können. Beschäftigung mit Musik wird nur noch in der Neurose möglich, und so erklären sich Menschen peinlicherweise zu Dylanologen und erzählen aufregende Geschichten über jemanden, mit dem sie nichts, aber auch garnichts zu tun haben. Ich war natürlich selbst schon besessen von Künstler_innen, daher weiß ich, wie reizvoll das ist. Doch es macht auch etwas kaputt; die kritische Beziehung zum künstlerischen Werk geht nämlich flöten, um im Musiker-Jargon zu bleiben, wenn ich mich von meiner fandom abhängig mache.
Auffallend ist, dass es trotz alledem einen Haufen guter Musik gibt, sobald man nicht mehr sich von der Reklame definieren lässt, dass Eddie Sheeran, wer auch immer das ist, angesagt/wichtig/gut ist. Überbevölkerung, normalerweise eher ein Problem auf diesem Blog, doch hier ausnahmsweise die Lösung. Es gibt genug künstlerisches Werk, man findet es aber gegen den Strom, und der war nie stärker.



* es gibt keinen Grund für die Single-Auskopplung. Außer dass B-Sides Spaß machen. Besser: B-Sides Compilations. Singles sind eine Unverschämtheit.
** ich stelle mir das in etwa so vor.
*** ich zitiere aus einer Review des Konzertes von The Pogues in Köln 2012: “The big downside was the terrible vocal performance of alcoholic Shane… that always was and is tolerated by his fans.” Denn mit einer öffentlichen Missbilligung würde man sich ja nur selbst schaden, also besser: sich die Konzerterfahrung um jeden Preis schönreden.
**** was ja auch besser ist, wenn man nicht mitkriegt, wer die eigenen Beats wofür missbraucht, nachher spielt sie Donald Trump zu seiner zweiten Inauguration oder so.

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