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02 Sep 2017
Die heilige Einfältigkeit

Schön war es in früheren Jahrhunderten für den Ottonormaluntertanen ja nun wirklich selten, aber immerhin musste er oder sie sich nicht groß Gedanken um die jeweiligen Glaubensinhalte machen, das überließ man getrost den Scholastikern, Konzilien und Kirchenoberen. Wie schnell nach der konstantinischen Wende der geistige Impetus einer von der Wirkungskraft her fast revolutionär zu nennenden Bewegung ersetzt wurde durch eine gut geölte Kirchenmaschinerie, wo oben entschieden wurde, was unten geglaubt zu werden hat, ist kaum zu fassen. Und so zahlten Hinzbert und Kunzfriede irgendwann ihren Zehnt dafür, dass Thomas von Aquin die theologischen Probleme ihrer wirren Religion anstatt ihrer zu lösen versuchte.
Wenn Kirche Staatskirche ist, ist außerdem der Glaube Staatsdienst, was insofern ironisch ist, als dass die frühen Christen gerade in einer solchen (im Grunde ehrlichen) religiösen Praxis den größten Verrat an ihrem Glauben sahen. Tja.
Doch zurück zum Thema. Wie kann es nun sein, dass einerseits der Glaubensinhalt unbestreitbar im Zentrum des Denkens stehen muss (es geht ja immerhin um nicht weniger als alles, Leben, Sinn und Tod eingeschlossen), dass aber diese Inhalte gleichzeitig nicht selbst Gegenstand des Denkens, d.i. der Analyse sein dürfen? Wir übergehen diese Unklarheit und schreiten linear Richtung Gegenwart. Heute bietet sich ein anderer Widerspruch. Um diesen zu verstehen, müssen wir annehmen, dass nahezu 2000 Jahre organisierte Religion nicht binnen weniger Jahrzehnte Moderne aus den Köpfen der Massen getilgt werden können. Oder anders: Mag es vor hundert Jahren durchaus an vielen Punkten der Welt progressive Tendenzen, Aufklärerisches bis hin zu Atheist_innen zwar gegeben haben, wird sich ein Provinznest, in dem die jetzige Urgroßelterngeneration aufgewachsen ist, in der alltäglichen Lebenspraxis nicht so erheblich von der des Mittelalters unterschieden haben, wie die Bezeichnung „20. Jahrhundert“ implizieren mag. Und so haben sicherlich auch zu Beginn dieses Jahrhunderts der Moderne die Kinder auf dem Land gelernt, dass über die schlauen Fragen die Scholastiker, Konzilien und Kirchenoberen nachsinnen dürfen, was diese ja auch immer noch, geübt durch jahrhundertegleiche Tradition, taten.
Der schlauen Fragen sind viele, eine ist indes wichtiger als jede andere, nämlich diejenige, wieso zum Teufel diese Welt, wenn dieser Gott doch allgütig und allmächtig ist, so ein Scheißloch ist (dies sei vorausgesetzt, denn wer denkt, dass hier alles richtig und gut läuft, lebt offenbar ohnehin in einer eigenen Welt, die mit Realität nichts zu tun hat). Durch die oben beschriebenen Reste alten Brauchtums in den Köpfen und die schleichende Halbbildung hat sich nun bei vielen Menschen eine Art diffuses Glaubensbekenntnis entwickelt, das imstande ist, sich der theologischen Probleme anzunehmen und es genau deswegen meidet wie die Pest. Denn klar ist, dass nur ein gefestigter Glaube ein guter Glaube ist, und wenn man jetzt anfängt, die Dinge auseinander zu nehmen, das wissen Millionen von Menschen intuitiv, kann das ganze (poröse) System zusammenstürzen. Und was dann?
Wenn die Christenheit heute spricht, so tut sie es durch die Spitzen der organisierten Weltkirche, die wie eine Bande von Trotteln der Behauptung nicht müde wird, für 2 000 000 000 (Zwei Mrd und ein paar Gequetschte) Gläubige zu sprechen. Jetzt leben wir allerdings in einer Zeit, in der es nicht nur christliche Glaubensinhalte gibt, sondern auch Bibis Schminktips, wechselnde Sexualpartner und Alcopops. Die Folge: Anstatt einer homogenen Masse von 2 Milliarden Gläubigen, die sich alle brav an das halten, was von oben diktiert wird, zB durch den Argentinier Jorge Bergoglio, den STELLVERTRETER GOTTES AUF ERDEN, treffen sich unter dem immer vager werdenden Namen „Christ“ Myriaden von unterschiedlichsten Lebensweisen, von Pantheisten über Deisten hin zu Esoterikern mit christlichem Einschlag, doch die allermeisten werden (siehe oben) nach wie vor gar nicht erst versuchen, ihre Glaubensinhalte auf Sinn zu prüfen. Dadurch glauben die meisten Christen mittlerweile einfach irgendetwas, halten selten oder manchmal oder oft die entsprechenden Rituale ab, haben die wahnwitzigsten Gottesbilder und mit den schwierigen Fragen dürfen sich die Theologen auseinandersetzen. Der Ist-Zustand besteht also darin, dass das Gros der Christenheit es einfach nicht wichtig findet, wie Himmel und Hölle aussehen und was der Herr Gott für einer ist. Gefestigte Glaubensgrundsätze unserer Zeit: „Nach dem Tod geht die Seele zu Gott“ (Aha); „Gott steht jenseits von dem, was wir uns vorstellen können“ (Wie zB die Zahl Pi oder die Helligkeit der Sonne) ; „Ich glaube, man erfährt den Sinn des Lebens, wenn man stirbt“ (Von wem? Wo? Wieso? Als eine Art Serviceleistung des Universums?); „die Hölle ist eine Ferne von Gott“ (schön und gut, aber was heißt das? Warum ist das ein Problem? Was ist mit den ganzen anderen Höllenmodellen der Bibel?) ; „Für mich ist Gott einfach alles: die Natur, die Schöpfung, die Menschen“ (Schön, und warum nennst du dich dann Christ? Weil die Bergpredigt so humanistisch ist?).
Man möge diesen Text nicht missverstehen als Forderung nach orthodoxeren Glaubensausübungen. Es ist jedoch offensichtlich, dass, sei es durch staatliche Schulen oder wissenschaftliche Entdeckungen, mehr Aufklärung in der Welt angekommen ist, als mit den wahnsinnig verkürzten plumpen christlichen Glaubenssätzen vereinbar ist. Und mag es auch einer angebrachten intuitiven Angst geschuldet sein, finde ich es geradezu unverschämt, diese beiden Welten nicht gegeneinander auszuspielen! Mit ungewissem Ausgang und im Innern, versteht sich.
Ich fordere alle diejenigen „Christen“, die entweder die Evolutionstheorie für wahr halten, sich haben impfen lassen oder Gegenstände nutzen, deren Herstellung wissenschaftlichen Erkenntnissen zu verdanken ist (zB Regenschirme, Medikamente oder Autos), dazu auf, sofort und unverzüglich eine Position zur Theodizee-Frage einzunehmen, die sich formallogisch mit, sagen wir, den Newtonschen Bewegungsgesetzen messen kann!
Ernst gemeint!

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