grillmoebel
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14 Apr 2015
Momentaufnahmen eines Musiknerds II - Bin ich besser als der Nazi, der den Ausländer rausschmeißen will, wenn ich den Nazi rausschmeißen will? Natürlich.

Denk dir einen Beat und lies den Text! Neulich hat mein Aufenthaltsort mal wieder sein Diminutiv abgelegt, indem ich nämlich von Berlinchen nach Berlin gefahren bin. Und was will ein Musiknerd in Berlin? Ganz klar: Der Haussegen hängt schief Sich ein Konzert ansehen, in diesem Fall Edgar Wasser (Hier, wie er aussieht) im, äh, egal, im Lido. Es war also ein Hip-Hop-Konzert und ich war noch nicht oft auf sowas, weil ich an Hip-Hop eigentlich nur Caught in the Crack höre und die gibt es ja nicht mehr, die sind wahrscheinlich im Showdown eines Bandenkrieges gestorben, warum also soll ich auf ein Hip-Hop-Konzert gehen? Die Antwort wurde mir heute in flüssiger Form (erster und letzter sehr schlechter Wortwitz in Bezug auf Edgar Wassers Künstlernamensbestandteil „Edgar““Wasser”) zugetragen, von Edgar Wasser, zu dessen Vorführung ich gegangen bin, um Edgar Wasser zu sehen: Edgar Wasser. Überall Edgar Wasser. In jedem Lied hundertmal. Sogar auf meiner Eintrittskarte steht es: Edgar Wasser. Ich weiß nicht, wie man das im Hip-Hop nennt, dieses an einem sich selbst zu beweihräuchern, ich jedenfalls finde das sehr amüsant. Edgar Wasser „hat den Funk“, er ist „der beste Rapper der Welt“ und „der unerreichte Meister der Sprache“ (Zitate Edgar Wasser, Lied egal) und das Publikum darf das die ganze Zeit nachplappern und ihn darin bestätigen. Doch von Anfang an.
Keine Sorge, das wird kein Verriss, ganz im Gegenteil, es wird ein Panegyricus ganz und gar, und das gerne, denn so viel Spaß es macht, kulturelle Erlebnisse schlechtzureden, zB Schlagersänger oder modernes Theater, noch schöner ist es, etwas zu loben, denn dann hat man was gutes gesehen. So Edgar Wasser. Nun von Anfang an.
Vor dem Club ist eine Schlange und es stehen eine Menge Leute in einer Reihe vor der Tür. Die Schlange kriecht weg, weil sie wahrscheinlich aufgrund der Menschenmenge nicht mehr damit rechnet, sich an der Abendkasse ein Ticket ergattern zu können. Die Leute gehen brav nacheinander durch die Tür in das Lido hinein und kaufen sich erstmal zwei, drei Bier. Unter ihnen: Ich und meine anonymen Begleiter_innen. Da Rap-Konzerte für mich wie gesagt eher die Ausnahme sind, fühle ich mich zunächst nicht gerade zuhause unter all diesen Hip-Hop-Fans. Doch ich beobachte. Schon der Bühnenaufbau verwirrt mich. Als konservativer Instrumentalist begreife ich nicht, dass schon alles bereit ist, obwohl die Bühne bis auf ein Paar Turntables fast leer ist. Ein Betrunkener erklärt es mir und ich versuche, mich einzufügen in diese merkwürdig diverse Menschenlandschaft. Mache ich mir zu viele Gedanken? Eigentlich ist alles wie sonst überall auch, nur sehr viel cooler und lässiger. Der Konzertsaal trieft geradezu vor in Basecaps, Sneakers und Marihuana verkörperter Coolness. Ich erwische mich kurz bei dem Gedanken, nicht lässig genug auszusehen, aber erinnere mich an meine Joggingmontur, die ich ohnehin meistens trage. Trotzdem ist da etwas, wie die Leute miteinander reden und sich bewegen. Sie stehen zum Beispiel nicht, sondern wabern. Die ganze Zeit. Es macht sie cooler, das muss ich einfach zugeben. Ich reagiere, indem ich mir Bier kaufe und es hilft. Plötzlich machen die Leute „wuuuu“, das kenne ich, das heißt, irgendwas passiert. Und tatsächlich: die Musiker klappen ihre Laptops auf und los geht’s. Es handelt sich (wie ich erst jetzt im Nachhinein erfahre, denn ich habe während des Konzertes immer Captain Hendrix verstanden) um Lux und Cap Kendricks, ein Rapper mit seinem DJ aus München, die den Support machen. Die zwei sind offensichtlich bekannt und beliebt, das Publikum tut, wie es geheißen wird, macht komische Armbewegungen, singt Hooklines, so albern sie auch sein mögen und alle haben Spaß. Scheinbar sind Captain Hendrix zum ersten Mal in Berlin, weil sie dauernd darauf rumhacken, dass das „bei ihnen“ so und so ist und wie das „bei uns hier in Berlin“ wäre. Ich, mittlerweile Teil des gesamtgesellschaftlichen Rapdiskurses geworden, bin gut drauf und verzeihe das, selbst als gefragt wird, ob „wir eigentlich Leberkaas kennen“. Auch die etwa 82-malige Wiederholung der Hookline „und ich ess meinen Leberkaas“, die daran anschließt, geht spurlos an mir vorbei, denn die beiden finden das scheinbar selbst etwas peinlich, machen das Ganze aber offensichtlich gerne und die Stimmung ist gut. Ich speichere das ab unter „möglicherweise Anfänge von Selbstironie“ und ziehe nach etwa einem Dutzend Tracks das Fazit: etwas nichtssagend, aber unproblematisch und insgesamt rund.
Captain Hendrix sind fertig, werfen ein Paar USB-Sticks ins Publikum und machen die Bühne frei für Edgar Wasser, der dann auch kommt und zwar so unerbittlich unmittelbar, wie dieser Satz ohne Punkt und Komma zwei eigentlich getrennte Abschnitte des Abends schonungslos ineinander übergehen lässt. Er hat sich ein lustiges Kostüm, bestehend aus einer Sonnenbrille und so einer Buchhaltermütze, angelegt, hat DJ Explizit (allein der Name ist schon geil) dabei, und rappt, was das Zeug hält. Spätestens jetzt bin ich vollends angekommen, denn Edgar Wasser übertreibt alles dermaßen, dass dieser ganze Szenequatsch sofort verfliegt. Außerdem lässt er schon im zweiten Lied den guten Explizit ein beeindruckendes Turntable-Solo spielen und macht mir meine Konzerterfahrung damit gleich um 4 Tonnen Stahl leichter, denn sowas kenne ich, damit kann ich mehr anfangen als mit Hooks und Loops und Emceeing. Weitere Höhepunkte:
Edgar Wasser sagt, dass er nicht „dieser Blumio ist“, sondern nur dessen Gesicht hat, Edgar Wasser spielt einen vermeintlichen Freestyle komplett per Playback ab und bewegt nur die Lippen dazu, Edgar Wasser provoziert mit Schildern, auf denen „behindert“ und „Spast“ steht, während im Hintergrund eine Compilation aller seiner Textstellen läuft, wo diese Wörter vorkommen. So heißt Provokation hier auch mal Provokation, nicht wie Lady Gaga oder sowas, was vielleicht irgendeinen Hillbilly hinter seinem Krug hervorempört, sondern so, dass nach dem Lied auch Leute buhen. Was für eine Bereicherung so ein Konzert sein kann, wo sich mal nicht alles brav in den im jeweiligen Kontext erlaubten Gesetzen bewegt. Wie verdammt ordnungs- und leistungsorientiert sind eigentlich heute Künstler_innen und Publikum!? Da ist es ein Eklat, wenn jemand was auf die Bühne wirft, genauso wie es ein Eklat ist, wenn sich dann jemand darüber aufregt. Alles ist erwartbar, die Spielzeit, die Zugaben, die Ansagen, der Bierpreis… so dass ich mich eigentlich nur freuen kann, wenn nach einem Slime-Konzert ein plündernder Mob durch die Straßen zieht. Edgar Wasser hält durchaus auch einige Erwartungen ein, überrascht aber viel öfter und das ist genau das, was jetzt notwendig ist, sagt Grillmöbel, die „schonungslose Rezensionsfabrik“ (Informatik Spektrum, 2/15).
nach dem Lied über „behindert“ und „Spast“ jubeln aber (zum Glück) die meisten Leute. Dann kommen nochmal Captain Hendrix und später Johnny Rakete, der Rap-Fans offensichtlich ein Begriff ist, als Gäste, Edgar Wasser läuft einmal versehentlich im Publikum umher, macht schlechte und gute Wortwitze am laufenden Band und das alles in einer Weise vorgetragen, das klar ist: Was anderes kommt nicht infrage. Das macht soviel Spaß, dass ich auch mal laut auflache, es ist so jenseits jeglicher Erwartungen, dass ich fast erschrecke und so gut, dass ich ab jetzt jedesmal hingehen will. Wenige Konzerte gibt es, wo ich mir wirklich wünsche, dass es nicht aufhört und dass dann auch noch meine Befürchtung zerstreut wird, niemals mehr zu erleben, dass Künstler_innen zweimal wieder auf die Bühne kommen, dafür bin ich Blumio einfach nur dankbar.

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