grillmoebel
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03 Nov 2014
Titel ohne Sonderzeichen

Die moldavische Diskuswerferin Lia Manoliu hat einmal gesagt: „Bitte zitieren Sie mich nicht in einer Rede!“
[Achtung: Text enthält einen Aufruf zu gesetzeswidrigem Verhalten im Straßenverkehr]
Es gab nun schon einige aufeinanderfolgende Texte im Bereich „Musiknerdtum“ (siehe 6. Blogeintrag), deshalb gibt’s heute noch einen:
Wenn es um Konzerte geht, gibt es zwei Gruppen von Menschen: Die einen mögen Musik und Songwriting, die anderen die Gesamterfahrung. Ich gehöre zu einer der zahlreichen anderen Gruppen, die es selbstverständlich gibt (denn sehr selten gibt es zwei Gruppen oder Möglichkeiten oder Seiten der Medaille), denn bei mir unterscheidet sich das von Konzert zu Konzert und von Band zu Band. Manche Gruppen finde ich live originell, würde sie aber nie zuhause anhören, bei anderen ist es eher eine wirre Sympathie, die es einen guten Abend werden lässt, meistens ist es natürlich doch die Musik selbst, ob sie sich nun in Songwriting, Arrangement, Technik oder Bühnenenergie ausdrückt, und manchmal ist es alles zusammen. Eigentlich ist es auch wichtig, wenn sich da vieles vermischt bzw. nicht genau zu wissen, weshalb man Bands gut findet oder nicht. Ich kann allerdings an meiner analytischen Herangehensweise nichts ändern, denn musikalisches Verständnis ist ähnlich wie freier Fall eine metaphorische Einbahnstraße (blöde Metapher, da das einzige, was dich daran hindert, in einer Einbahnstraße in die andere Richtung zu fahren, das Gesetz ist, also etwas fiktives und von dir weder ersonnenes noch abgesegnetes, weshalb es eigentlich keine Bedeutung für dich haben sollte, Meta, Meta, Popeta) und kann der reinste Fluch sein. Dazu aber ein andermal. Denn hier geht es um etwas anderes, nämlich um Spießertum und – wie immer – um Deutschenbashing. Deutschenfeindlichkeit scheint zwar immer angesagter zu werden, immer mehr Menschen scheinen ihres Deutschseins wegen gemobbt zu werden, aber mir geht das nicht schnell genug. Ein weiterer Grund für Grillmöbel, die „experimentierfreudige Online-Spielwiese“ (PC-News). Weshalb also finde ich Deutschland diesmal scheiße? Ganz klar hat es was mit Musik zu tun. Am 3. Tag meines Berlin-Wochenendes habe ich eine Klezmer-Session besucht. Ich selbst wohne ja nicht in Berlin, sondern in Berlinchen, wo es leider kaum Sessions gibt, weshalb ich mir eine solche für den letzten Tag meines Wochenendaufenthalts ausgesucht habe. Dabei ist mir etwas aufgefallen, was ich schon öfter bemerkt habe und was ich nun versuche, so PC wie nötig zu formulieren: Menschen aus manchen Kulturkreisen (außerhalb Deutschlands) haben ein sehr anderes Verhältnis zu Musik und Tanz als die Menschen aus, naja, dem deutschen Kulturkreis (sogar das klingt schon merkwürdig). Die faire Formulierung macht es ein wenig trivial. Was damit gemeint ist: Ich habe das Gefühl, dass bei Konzerten/Sessions/wasauchimmer von und mit „Deutschen“ eine Art Verhaltenskonvention existiert, die verhindert, dass echte Gefühle ausgelebt oder überhaupt erzeugt werden. Das ist ja auch kein Wunder in einem Land, wo jegliches Aus-Sich-Herausgehen seit Jahrhunderten diskreditiert wird und saubere Fingernägel wichtiger sind als politische Ansichten oder gar persönliche Gefühle. Auch das ist (natürlich) keine Erkenntnis, denn genau deswegen gab es Punk und alles mögliche andere an Subkulturen, traurig ist nur, dass das scheinbar immer wieder kommt. Ich glaube, dass auch bei diesen eine Art Gewöhnungseffekt und damit eine Art stille Reglementierung eingesetzt hat im Sinne eines ungeschriebenen Kodex’, was angemessen ist und was nicht. Das ist ja auch teilweise sinnvoll, wenn es z.B. um grenzüberschreitendes Verhalten geht, aber man scheint darüber vergessen zu haben, dass es natürlich angemessen ist, ausgelassen zu tanzen, sich von Musik berühren zu lassen und aufzustehen, selbst wenn alle anderen sitzen (erst recht, wenn die Band es explizit wünscht). Gerade da musste ich wieder sehr viele Stöcke in sehr vielen Hintern sehen. Es ist nämlich tatsächlich passiert, dass 95% des Publikums die ganze Zeit gesessen haben, obwohl die Musik äußerst anregend und tanzbar war, die Band eine unheimliche Energie verbreitet hat, eine Gruppe von Menschen bereits ekstatisch am tanzen war und die Band (fast schon wütend oder verzweifelt) mehrmals dazu aufgefordert hat, wenigstens aufzustehen. Und jetzt erzähle mir niemand, dass die 150 Leute eben zufällig alle keine Lust hatten oder gebrechlich waren. Dummes Gewäsch! Dahinter steckt Konditionierung dahin, Musik nicht als etwas losgelöstes zu verstehen, worauf du dich jedesmal neu einlassen musst, sondern als einen Teil des Alltags, mit bestimmten Angeboten, bestimmter Etikette und bestimmten Funktionen.* (Fehlt nur noch der Konzert-Knigge, das wäre nun wirklich das widerlichste Geschreibsel aller Zeiten, zumindest, bis Xavier Naidoo seine Autobiographie schreibt). Ich begrüße es daher über alle Maßen, dass sehr viele Nichtdeutsche hier ihre Musik machen, denn das scheint mir bisher der einzige Weg zu sein, diesen Mechanismus zu durchbrechen. Und dann habe ich sie auch schon ehrlich tanzen und Emotionen zeigen sehen, z.B. auch bei jener Session. Eine gute Session. Irgendwann geh ich wieder hin. Es gab einen lustigen alten Mann mit Kippa, an dem allein sich die meisten Leute, die ich seitdem auf Konzerten habe herumvegetieren sehen, eine Scheibe oder am Besten gleich ein ganzes Stück abschneiden könnten (aber nicht das mit der Kippa dran, das braucht er sicher noch). Komisches Ende der Berlin-Trilogie. Egal.


*All das ist (selbstverständlich) nicht nur in Deutschland so, aber ich lebe nunmal hier (s.o.) und nehme daher diese Perspektive ein. Außerdem, wie gesagt: Mut zur Deutschenfeindlichkeit!

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