grillmoebel
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26 Oct 2014
Ich steh total auf körperliche Unversehrtheit! (außer bei Xavier Naidoo)

Am Wochenende war ich im größten jüdischen Museum Europas. Ich selbst wohne ja nicht in Berlin, sondern in Berlinchen, wo es leider kein jüdisches Museum gibt. Deswegen bin ich nach Berlin gefahren, was nicht so weit von Berlinchen weg ist, und da ich der Meinung bin, dass Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit zu den Dingen gehört, die man gar nicht genug betreiben kann, habe ich also jenes Museum besucht. Ein gutes Museum! Ich kann mir keinen Teilaspekt des Wortes „multimedial“ vorstellen, der dort nicht in irgendeiner Form verwirklicht wird. Das macht den Besuch recht kurzweilig. Es gibt außerdem dort die „Achse des Holocaust“, quasi ein Weg, den man nehmen kann, wo reihenweise Dinge (also materieller Besitz, z.B. Fotos; Briefe oder auch Geschirr) von Menschen ausgestellt sind, die von den Nazis ermordet wurden, jeweils mit einer kurzen Information dazu. Dadurch wird etwas sehr wichtiges erreicht, nämlich die Erkenntnis, dass im Holocaust nicht 6 Millionen Jüdinnen und Juden gestorben brutal ermordet, sondern 6 Millionen einzelne Menschen mit Gefühlen, Begeisterung, Problemen und Hoffnungen aus ihren jeweiligen Umgebungen einfach ausradiert worden sind. Überhaupt schafft es das Konzept des Museums, wohl in den meisten Besucher_innen etwas auszulösen. Spätestens an der Stelle des Rundgangs, die hier dokumentiert ist, ist es vorbei mit einem angenehmen oder erbaulichen Museumsbesuch und das ist auch gut so. Angenehm und erbaulich ist in diesem Land nämlich überhaupt nichts und um wieviel Zeit die NS-Scheiße „uns“ (hier auch mal außerhalb von Papstwählerei und Fußballtheater der nationale Plural) überhaupt zurückgeworfen hat, wird hier klar, z.B. in den wenigen Ausstellungsstücken zu Magnus Hirschfeld. Dabei und überhaupt innerhalb des ganzen Teils des Museums, der die Zeit um die Weimarer Republik herum betrachtet, zeigt sich, dass die Ideologie des NS nach wie vor in den Köpfen ist, sonst lägen „wir“ nicht immer noch wissenschaftlich und kulturell Jahrzehnte hinter den Erkenntnissen und Idealen dieser Zeit. Keine Romantisierung, trauriger Fakt über Deutschland:
Diese Gesellschaft ist nicht das Resultat aus Fortschritt und Aufklärung.
Diese Gesellschaft ist das Resultat aus Krieg und Völkermord.
Das Museum ist dann erfolgreich, wenn es dieses Gefühl in jedem als „deutsch“ definierten Menschen auslöst. Und eigentlich müsste es das sehr leicht schaffen. Und darin liegt auch der Fehler derjenigen, die so oft zitiert werden mit großartigen Äußerungen wie „damit hat unsere Generation aber ja nichts zu tun“ oder dem leider so medial ausgeschlachteten „Schlußstrich“ . Einen Schlussstrich gegenüber den Verbrechen zu ziehen, ist unmöglich und muss natürlich mit allen Mitteln verhindert werden, das ist indiskutabel. Das „deutsche Schuldgefühl“ aber zu begraben, nachdem von den Schuldigen ja bald keine mehr übrig sein werden, wäre immerhin möglich. Aber das funktioniert eben nur mit Distanz und nur zeitliche reicht da nicht. Von inhaltlicher Distanz andererseits ist in diesen Zeiten nichts zu spüren. Die Menschen in diesem Land sind immer noch der Meinung, dass bestimmte Menschen besser sind als andere. Ich fühle mich – selbstverständlich – nicht als Deutsche, das wäre Mumpitz, da dieser Begriff keinen Inhalt hat und ich mich nur als etwas fühlen kann, was ich selbst erwähle. Dennoch werde ich von außen als Deutscher definiert und betrachtet und nur dadurch ist es möglich, dass dieses unendliche Schamgefühl immer wieder entsteht und es entsteht oft in diesen Tagen des Politiktheaters, der offensichtlichen Bigotterie, der immer brutaleren Repression, der sozialen Ausbeutung und des indirekten Massenmordes. Worin besteht der Unterschied, ob ich einen Menschen ermorde oder ihn an einen Ort ohne Überlebenschancen schicke?
Das unausweichliche Fazit: Ob deutsch oder nicht, ich schäme mich bereits dafür, auch nur im Entferntesten mit diesem Land in Verbindung gebracht zu werden. Und wenn auch nur 1% der Besucher_innen des Jüdischen Museums Berlin diese unendliche Scham empfinden für das, was Deutschland ist und immer war, ist die Welt schon wieder ein bisschen besser. Das sollte drin sein.

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