14 Oct 2019
Der Selbstversuch (1)
Ich habe mir angewöhnt, beim Fahrradfahren stets die Gelegenheit zu nutzen, die Persönlichkeitsstruktur von Arschloch-Autofahrern nachzuempfinden. Denn wer kennt das nicht: Man ist als Fahrradfahrer_in oder Fußgänger_in unterwegs und es entsteht eine Situation, in der ein Arschloch-Autofahrer einen grundlos in Lebensgefahr bringt. Und obwohl man im Recht ist (legalistisch wie moralisch), erhält man von dem, der einen fast totgefahren hätte, erstmal keine Entschuldigung, sondern einen Wutausbruch.
Doch wie immer ist es merkwürdig, etwas skandalös zu finden, was täglich massenhaft geschieht.
Im Gegensatz zu anderen Gemengelagen unterschiedlicher Verkehrsteilnehmender fällt es mir hier außerdem trotz meiner sehr ernüchtert-desillusionierten Sichtweise der Menschheit schwer, nachzuvollziehen, was diese Leute geritten hat. Es ist ja, als würde mich jemand die Treppe runterschubsen und mich dann anbrüllen, weil ich ihm im Weg liege. Was sich wohl eher selten so abspielen wird. Wie so oft existieren gewissen Abgründe des Menschseins ausschließlich im Bezugsrahmen Straßenverkehr.
Was also ist da los? Ich mache den Test, indem ich mich in einen Fahrradrambo verwandele, was mir leichter fällt als im Auto. Ich rase also umher, setze mir als oberste Priorität, schnell ans Ziel zu kommen. Nach kurzer Zeit merke ich, dass Rasen Spaß macht. Und tatsächlich, es dauert nicht lange, bis ich mich zum ersten Mal über diese tranfunzeligen Fußgänger_innen aufrege, die scheinbar alles mögliche im Sinn haben, aber nicht, dass ich schnell da durch muss.
In der Welt des Rasers ergibt das alles Sinn: Da ist die Straße, und die komplette Umgebung ist voll von meine Welt penetrierenden Schildern, Ampeln und vor allem Menschen, die auch Raum beanspruchen. Noch mehr: Die mir mein Bedürfnis verweigern. Die Kritik müsste also an jenem völlig bizarren Bedürfnis ansetzen, dass die Welt so eingerichtet ist, dass für den Rasenden (durchaus im Doppelsinn des Wortes gemeint) alle Wege frei sind. Und eben nicht daran, dass die Leute wütend werden, obwohl sie sich selbst arschlochhaft verhalten. Denn absurderweise ist diese Reaktion nachvollziehbar und logisch, geradezu rational für denjenigen, der die Welt mit den Augen eines Arschloch-Autofahrers sieht.
Doch plädiere ich etwa für mehr Verständnis für Raser?
Sicher nicht. Verständnis war noch nie das, an was es Wahnsystemen gemangelt hat, seien es Religionen oder autofreundliche Ideologien. Doch wie schon Hegel gerne gesagt hätte, wenn er auf einen so genialen Gedanken gekommen wäre: „Es gibt keine Sache auf der Welt, bei der es keine Relevanz hat, warum sie geschieht.“
Das ist alles.