grillmoebel
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16 Mar 2019
wie bauchfrei nur falschrum

Sich in der Welt zu verorten fällt zunehmend schwerer, während es der Welt natürlich völlig wumpe ist, ob es gelingt und warum es überhaupt zum Problem wird. Und das ist eine gute Frage: Wieso eigentlich nicht einfach mitmachen bei alledem? Großer Aufwand ist es nicht: Smartphone kaufen, arbeiten, alles mögliche aus Zeitmangel vergessen, zB warum Zwangsarbeit ein Problem ist, so tun, als käme die Gegenwart nicht von der Vergangenheit, an den vorgeschriebenen Wochen- und Jahrestagen feiern, in Identitätskrisen einfach eine deutsche Kleinfamilie gründen, ab dann ist ohnehin alles Selbstläufer und bis der Nachwuchs dann aus dem Haus ist, ist sowieso alles so eingefahren, dass keine Gefahren und Erschütterungen mehr drohen, weiter gehts mit neuem Smartphone, immer noch Arbeit, vielleicht weiteren Gadgets, weil das Geld irgendwohin muss, Funktionskleidung, dazwischen aber darauf achten, nicht versehentlich etwas vom Weltgeschehen mitzukriegen, falls doch, helfen die üblichen Täter-Opfer- oder Ursache-Wirkung-Verkehrungen, Hauptsache, es rüttelt nichts an der Wahrnehmung von sich selbst als perfektes Exemplar einer Spezies, die komischerweise ansonsten nur mal so gar nicht perfekte Exemplare hervorbringt.

Puh. Wieso also nicht affirmieren?
Ich schätze, die Leute, die diese Frage zu stellen imstande sind, haben bereits keine Wahl mehr. Fest steht: Wer in eine entmenschlichte Normalität hineingeboren wird, erkennt als normal an, was entmenschlicht ist, muss erst begreifen, was einst menschlich war. Dazu ist das Ganze natürlich zutiefst – oder höchst – ambivalent: Auf der einen Seite ist es toll, dass selbst während des von Deutschland verübten industriellen Massenmordes immer wieder die Entmenschlichung nicht vollständig funktioniert hatte; das gilt ebenso für alle anderen Völkermorde und Diktaturen, bei denen es Überlieferungen gibt,* jedenfalls ist anzunehmen, dass das Menschliche schwer komplett wegzukriegen ist.
Dass aber nun in manchen Gesellschaften zwar nicht mehr durch Misshandlung und Mord entmenscht wird, sondern durch allerlei subtile Gehirnwascherei,** ist definitiv keine gute Alternative, denn sie führt zu schauerlichen Effekten wie, dass alle mit ihren tollen Handys per Livestream Geflüchteten beim Ertrinken zusehen können, aber nicht verstehen, dass sie irgendetwas damit zu tun haben. Jetzt sind Leute natürlich nicht schuld an ihrer eigenen Gehirnwäsche; allerdings bietet die heutige westliche Gesellschaft ja nun einige Dinge, über die man stolpern könnte, und sei es nur der eigene Burnout wegen zuviel Plackerei für die Miete.
Ich höre schon die Rufe: „Lustfeindlichkeit!“ usw usf. Heute sage ich: Sollen sie nur kommen! Sollen sie nur kommen.
Anders: Schon der bekennende Sozialdarwinist, Rassist und Präfaschist*** Georg Maercker regte sich Ende 1918 darüber auf, dass während der unruhigen Zeiten die Tanzsäle voll waren mit ausgelassenem Treiben. Fast regte er sich zu Recht auf, denn hätten diese Leute die (zunächst ziemlich friedliche) Revolution der Arbeiter- und Soldatenräte unterstützt, hätte manches anders laufen können. Der Egoismus oder Hedonismus ist hierbei nicht zu kritisieren, sondern das fehlende Bewusstsein darüber, in welchen Zeiten man damals lebte. Darin sehe ich eine Parallele zu heutigem Zeitgeist.
Es ist ja auch nicht leicht. Man kommt nicht mehr auf die Welt und merkt: Aha, ich muss Essen besorgen, mich vor feindlichen Wesen schützen und imstande sein, mir einen trockenen Schlafplatz zu suchen; sondern man kommt auf die Welt und merkt: Aha, ich darf nicht machen, was ich will, ich muss gegen meinen Willen höflich oder cool nach außen wirken, wenn ich schlau bin, werde ich verprügelt und es bringt mir Anerkennung, wenn ich möglichst skrupellos unterwegs bin.
Und da für Essen, Schlaf und Sicherheit „gesorgt“ ist, interessiere ich mich natürlich nicht dafür, sondern für ein Videospiel oder eine Fernsehshow, in der Leute coram**** missbraucht werden. Oder welches Auto schneller Leute töten kann.
Die Affirmation also befällt, so die Zahlen, dann doch fast alle, und diese Zahlen können mächtiger sein als jede rationale Erwägung und jeder moralische Impetus. Sich in bestimmten Gruppen von Menschen nicht verorten können – geschenkt. Sich aber mit ein paar Hanseln und Knödeln***** auf der gegenüberliegenden Seite der Menschheit verorten zu müssen, das ist die wahre Herausforderung der übriggebliebenen und daher depressiven Linken heute.




* bei vielen First Nations in Nordamerika und Australien/Ozeanien wurde an dieser Stelle ganze Arbeit geleistet

** zB dass man lernt, dass ein Konzern oder eine große Firma oder, noch besser, haha, ein Startup auch nur einen Millideut Interesse an irgendetwas außer der eigenen Bereicherung hat. Dass die Firma BMW nach Lösungen sucht, das Leben der Menschen zu verbessern oder so ein Quatsch

*** und daher natürlich bis heute in Deutschland unumstritten verehrte

**** lat. „vor aller Augen“

*****\die versehentlich bei den Säuberungen übersehen wurden

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