18 Jan 2019
Man kann Kanalisation nicht ohne Lisa buchstabieren!
Eines Tages hatte T einen merkwürdigen Fahrgast. T erhielt von der Zentrale über den Würfelfunk Meldung, jemand warte an der Hauptstraße, etwa bei Hausnummer 49, in der Nähe der Kirche.
Langsam fuhr T die Straße ab, wunderte sich darüber, dass die betreffende Person sich keine Ecke oder eine irgendwie geartete sinnvolle Adresse überlegt hatte. T hatte natürlich schon alles von Fahrgästen erlebt: Betrunkene, Verletzte, reiche Arschlöcher, die kein Trinkgeld gaben und reichlich Menschen auf Drogen. Insofern war T durch die jahrelange Arbeit abgehärtet. Und immerhin konnte der Mensch, der permanent am Zittern war, T einigermaßen verständlich die Adresse nennen, zu der es gehen sollte, nämlich zum Bahnhof. Damit war T entspannt: Zwar war das finanziell keine große Nummer, eine Fahrt von höchstens 12,13 Minuten für einen Betrag von etwa 12,13 Euro, doch mit den anstrengenden Fahrgästen waren kurze Fahrten lange genug, das wusste T. Und irgendwas stimmte hier nicht, das merkte T. Auf der ganzen Fahrt wurde kein Wort gesprochen, dafür hörte T vom Beifahrersitz aus immer abwechselnd Gähnen, Zähneklappern und diverse andere Geräusche, die von Unruhe zeugten oder zumindest von irgendetwas, was hier nicht in Ordnung sein konnte. T war sich sicher, dass Drogen im Spiel waren. Als dann auch noch völlig deplatziertes Lachen zu willkürlichen Zeitpunkten dazu kam, hoffte T, dass die Übergabe zurück an die Straße, so nannte man das Aussteigen unter den Insidern im Taxi-Business, wenigstens einigermaßen glatt über die Bühne gehen würde. Immerhin hatte T hier Glück: Nicht nur war die Bezahlung in Ordnung; es gab auch ansonsten keine Probleme, und sogar ein gutes Trinkgeld. T ging bei der Abwicklung allerdings der sichtlich motorisch eingeschränkten Person mit kleineren Hilfestellungen und viel Geduld zur Hand, das schien T doch notwendig zu sein. T blieb noch etwas alarmiert, da T die Person dabei beobachten konnte, wie sie etwas ziellos daherlief, obwohl sie vorher gesagt hatte: “Hier wohne ich:” T fuhr noch eine Minute hinterher, doch beschloss dann, die Veranwortung dafür nicht zu übernehmen und überließ den benebelten Menschen der Nacht.
Eines Tages hatte X sich trotz Krankheit in die Kneipe geschleppt, Schmerzmittel sei Dank, denn X ging gern in die Kneipe und es war zu lange nicht dazu gekommen. Den kurzen Aufenthalt konnte X gut verkraften, doch kaum setzte X den Fuß über die Schwelle des Etablissements, kam die Krankheit mit allen heftigen Symptomen zurück. X spürte Schüttelfrost und plötzliche Müdigkeit und beschloss daher, sich ein Taxi zu rufen. Leider war die Kneipe so gelegen, dass X Schwierigkeiten hatte, dem Mitarbeiter der Taxizentrale eine genaue Adresse anzugeben: Weit und breit keine Ecke oder etwas irgendwie geartetes, was X geholfen hätte. Daher wusste X lediglich die Hausnummer zu nennen und hoffte, dass das ausreichen würde. Wenige Minuten später näherte sich vorsichtig ein Taxi und X wusste, dass ein Taxi, das nicht rast, nur auf der unmittelbaren Suche nach einem angekündigten Fahrgast sein kann. X hatte aufgrund des Zustandes, in dem sich X befand, Schwierigkeiten, deutlich zu sprechen, doch konnte der Taxifahrerin verständlich machen, dass X zum Bahnhof wollte. Die Müdigkeit ließ X die Fahrt langwierig erleben, obwohl sie höchstens 15 Minuten dauern sollte, X kannte ja die Strecke. X musste andauernd gähnen, und wenn X nicht gähnte, schniefte oder hustete X oder räusperte sich. Irgendwann lenkte sich X dann unbewusst dadurch ab, dass X die im Radio laufende aktuelle Popmusik verspottete: So sagte X entweder voraus, welche Akkorde als nächstes kommen würden oder wie die Songstruktur weiterginge, welche Stilmittel am Ende des Tracks eingesetzt werden würden oder teilweise sogar die einzelnen Töne eines Melodieteils, wobei für X die sogenannten Melodien ganz klar beliebig aneinandergereihte Einzeltöne waren, ohne jede Substanz. Immerhin frustrierte X das ausnahmsweise mal nicht, denn X lag in 100% der Aufgaben, die X sich selbst gestellt hatte, richtig, und das bestätigte natürlich alles, was X nur zu gern bestätigt haben wollte in Bezug auf aktuelle Popmusik. Zu zwei oder drei Gelegenheiten rang die peinliche Vorhersehbarkeit X gar ein hörbares Lachen ab. So verging die Fahrt also doch. X gab ein großzügiges Trinkgeld und ließ sich wie immer ein paar Meter von zuhause entfernt absetzen, um noch kurz frische Luft zu haben (und aus einer gewissen Grundparanoia heraus, dass andere Leute die Wohnstätte von X kennen). Beim Bezahlen wunderte sich X darüber, dass die Taxifahrerin X bei allem zur Hand ging, als sei X 50 Jahre älter, doch ließ es wegen der Krankheit auch irgendwie gerne geschehen. Auf dem Nachhauseweg fiel X auf, dass das Taxi X noch fast bis nach Hause hinterher fuhr. Endlich gab es Gas und als es außer Sicht war, betrat X das Gebäude.