06 Jan 2019
Oh nein, wieder ein Jahr (1)
Ziemlich exakt zu Beginn der fünften Minute des Waits/Brennan-Songs* “Cold Water” spielt der für dieses und einige andere Tracks des Albums “Mule Variations” ins Studio berufene Ex-Canned Heat-Bassist Larry Taylor** (hier ein lustiges Foto, wie er aussieht) mit einer geradezu unverschämten Präsenz einen falschen Ton. Genauer gesagt, herrscht an jener Stelle offenbar der Grundton des Songs, während Larry Taylor sich auf seinem wsl. Kontrabass fünf Halbtonschritte über diesem befindet.
Was nun ist das? Man kann nicht von einer Absicht sprechen; das Lied kommt, von der Intonation und dem per se unflätigen Rhythmus einmal abgesehen, ohne Brüche daher, gerade in der Struktur. Auch der Zeitpunkt so kurz vor Ende lässt intuitiv auf einen simplen Lapsus schließen, ja, ich meine fast, in den folgenden Tönen der Basslinie den Schreck des Bassisten herauszuhören.
Niemand weiß die Wahrheit, wahrscheinlich nicht einmal Larry Taylor. Also wozu nicht spekulieren?
Die vorliegende Version von “Cold Water” ist die einzige veröffentlichte und klingt stark nach Live-Aufnahme. Ich habe jetzt gerade keine detaillierte Tom Waits****-Biographie zu Hand, aber ich gehe davon aus, dass die absolute Mehrheit der Waits/Brennan-Songs live aufgenommen wurden. Darüber hinaus konnte man mit dieser speziellen Aufnahme mehr als zufrieden sein, denn alles ist im Übermaß vorhanden: Das Scheppern der Percussioninstrumente, das Zusammenspiel ohne Zusammenspiel, der allgemein schleppende Charakter, das wahnsinnige Solo von Marc Ribot, das sich wie immer nicht entscheiden kann, und die über allem wahrnehmbare Rumpelhaftigkeit.
Und fünf Minuten lang kein falscher Ton.
Doch ein derartiger Bruch ist o.k., wird man gemeinsam befunden haben. Nicht nur o.k.; er untermalt ebenjene genannten Aspekte, die dem Lied zum Glanz verhelfen. Es klingt ohnehin schon, als wäre es dazu bereit, es mit den Tönen nicht sooo genau zu nehmen. Und nun, Larry Taylor sei Dank, nimmt es sie offiziell nicht sooo genau. Also schon genügend, um der Anklage musikalischer buffoonery elegant zu entkommen, aber eben auch nicht mehr.
“Tom Waits mal wieder”, werden die wenigen Handvoll Leute denken, denen der falsche Ton auffällt. “Das hat der bestimmt absichtlich gemacht. Der macht doch immer sowas.”
Narren, allesamt.
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* Alle Songs seit 1983, als deren Urheber Tom Waits gefeiert wird und Kathleen Brennan im Allgemeinen nicht gefeiert wird, sind Kollaborationen der Beiden. Es möge aus dieser Emphase allerdings nicht die Forderung herausgelesen werden, K.B. aus ihrem, unterstelle ich, angenehmen und erfüllenden Leben herauszureißen und in der Öffentlichkeit resp. bei David Letterman o.ä. zur Schau zu stellen, worin sogar ihr Mann nur deswegen brilliert, weil er weiß, dass allein sein wirres Äußeres als Gegenangebot zum Bestehenden ausreicht, um Götzen wie George Clooney Demut zu lehren.
he gets all the fame, but also… he gets all the fame.
100 Songs in 35 Jahren, und dazu sich nicht mit diesem Pack abgeben müssen; Mrs. Brennan kann mit dieser Rollenverteilung zufrieden sein, denke ich. Credits kriegt sie ja doch.
** Ich hätte auch schreiben können: “… spielt […] Larry Taylor… “ und damit voraussetzen, dass meine Leser_innen als Populärkulturamateurexperten*** mit diesem Namen sogleich etwas anfangen können, doch ergibt sich aus der Tatsache, dass niemals alles Wissen zu erreichen sein kann, auch, dass es vergeblich und nicht zielführend ist, Spezialwissen vorauszusetzen. Ergo: Die feinere Bestimmung. Canned Heat hingegen darf als bekannt gelten. Wer will mich daran hindern?
*** Dieses Wort möge nicht als sträflicherweise ungegendert, sondern als geschlechtslos-funktionales Abstraktum gelesen werden, danke.
**** Nicht Kathleen Brennan-Biographie.