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30 Nov 2018
Der Fasan fällt

Ich will das alles nicht. Eingedenk der Tatsache, dass Menschen dazu neigen, das Innere zu veräußern, komme ich trotzdem immer wieder zu diesem Punkt. Ich will das alles nicht. Und auch:
Es muss nicht so sein. Es könnte anders sein. Es ist vielleicht sogar irgendwo auf der Welt anders.
Doch über 200 Jahre Industriekapitalismus hinterlassen ihre Spuren, könnte man sagen, wenn man die Untertreibungsweltmeisterschaft gewinnen will; die Realität erkennend, muss es eher heißen: Wo sind die Spuren des Menschlichen nach 200 Jahren Industriekapitalismus?
Ich „kenne Marx“, whatever that means, nicht gut genug, um sicher zu sein, aber ich gehe davon aus, dass dieser brillante Analytiker nicht voraussah, dass irgendwann Leute Millionen mit Handyabo-Fallen verdienen.
Obwohl es durchaus aus der kapitalistischen Eigenlogik hervorgeht, was da passiert. Ein Rechtssystem, das Verbrecher nicht verfolgt, wenn sie reich genug sind, schreit geradezu heraus: „Nutze mich aus, es gibt genügend Gesetzeslücken für alle!“
Wer das nicht will, gründet eben legal irgendwas, weil man in einer Stadt unbedingt 20 verschiedene Anbieter von Leihfahrrädern oder -Autos braucht, die alle nach dem Monopol streben. Immer mehr, immer mehr, als wäre das erwünscht.
Und die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) schicken einen Haufen Taxis in die völlig überfüllte Stadt und behaupten, dadurch nähme der Verkehr ab. Das ist schon harter Tobak.
Aber dann jammern sie alle. Überhaupt, nie gab es eine dermaßen erbärmliche Zeit. Ein Millionär will Regierungschef werden, aber schafft es nicht, sich zu seinem unverschämten und ganz sicher mit Skrupellosigkeit erworbenen Reichtum zu bekennen. Wir wissen alle, von wem die Rede ist. Dieser Name wird hier auf Grillmöbel nicht auftauchen (Grillmöbel-Garantie!) und dahinter steckt nicht Mystifizierung à la Voldemort, sondern schriftstellerisches Ghosting, zeitgeistig gesprochen.
Da war mal jemand so nett und stellt eine ganz einfache Frage, die auch tatsächlich mal Relevanz hat, und dieses Vollarschloch schafft es nicht, sie zu beantworten, sondern nennt, weil ihm die Realität nicht passt, dann einfach Reichtum Armut, denn heute kann man ja alles nennen, wie man will. Der Verlauf dieser Geschichte zeigt, dass trotz all dieser scheußlichen Entwicklungen der letzten Jahre die Klassenfrage wieder schwelt, wenn auch irgendwo zwischen Poduschenstartups und der Instagram-Timeline von Melania feckin‘ Trump, wer auch immer das ist (leider weiß ich es). Immerhin. Soll dieser Gauner doch Kanzler werden, man könnte ihn „die Stirn“ nennen oder den armen reichen Mann. Könnte ein besseres Feindbild sein als Merkel, die uns gezeigt hat, dass man alles mögliche anrichten kann, ohne je dafür belangt zu werden, solange man einfach die Rolle, die einem die PR-Agentur auf den Leib geschrieben hat, gut genug spielt, und so konnte Merkel in aller Öffentlichkeit den Untergang des nahen und mittleren Ostens (Beispiel) vorbereiten und alle reden aber über irgendwelche Outfits und Rauten. Es hat auch etwas totalitäres: Alles möchte abgedeckt werden, und wenn das Böse im realen Handeln enthalten ist, muss das Gute eben im virtuellen Raum, in der entfremdeten Projektion hergestellt werden. Ebenso nun Merkels Nachfolger, dem es eben nicht reicht, reich zu sein, nein, er will auch Mittelschicht sein oder eigentlich ist er wahrscheinlich auch arm. Alles gleichzeitig, denn darunter gibt sich das Social Media-Publikum nicht zufrieden.
Ebenfalls totalitär sind Leute, die Hosen tragen, an denen unter den Löchern, die die Used- oder Destroyed-Look-Mode vorschreibt, vorauseilend Flicken angebracht wurden. Damit es im Winter nicht kalt wird. Es gibt das wirklich da draußen.
Diese Leute wollen alles. Zuerst wollen sie modisch sein. Dann wollen sie nicht frieren. Doch in der Essenz der Mode ist das potenzielle Frieren inbegriffen. Was geschieht? Die Leute wollen alles und das letzte Iota Seele in der Mode muss der totalitären Anforderung weichen.
Ich will das alles nicht. Die Leute sollen, wenn sie schon Arschlöcher sind, dazu stehen und nicht irgendwelche Brücken überall hin bauen. Und Jeanshosen sollen entweder ganz oder kaputt sein. Und Schluss mit der verdammten Duzerei! Ich will nicht andauernd von irgendwelchen Firmen oder Regierungsreklame angesprochen werden wie ein bevormundetes Kind. Was nehmen die sich heraus? Auch hier gibt es eine Zeitenwende. Warum duzen mich ständig ungefragt Vertreter der Staatsgewalt? Wenn ich anfangen würde, Bullen zu duzen, würden die ganz schnell von Kumpanei auf Gewaltmonopol umschalten. Sowas respektloses. Da erkennt man, was die sich herausnehmen. Duzen ohne die Möglichkeit der adäquaten Reaktion, nichts anderes als Machtdemonstration ist das, und ausgerechnet sowas tarnt sich als Nähe. Mehr Distanz schaffen ist garnicht möglich, als wenn die Regierung mich ungefragt duzt.
Derweil verteilt Vollhorst Seehofers Deutschland-Ministerium Plakate, auf denen die Rückkehr ins Kriegsgebiet rüberkommt wie eine hippe Reise, ein Abenteuer für die ganze Familie, finanziert von der Kriegstreiberrepublik Deutschland. Alle, die bis jetzt vielleicht noch an die Reste jeglicher Willkommenskultur geglaubt haben, wissen spätestens jetzt, dass sie unerwünscht sind. Und dieses Plakat erlässt dieselbe Regierung, die diese Menschen letztendlich gerade erst ins Land gelassen hat. Auch hier wieder: Man tut etwas und anstatt zu sagen: „Es ist jetzt so“ oder auch von mir aus „Wir schaffen das“, sagt man „Hey, wollt ihr nicht lieber wieder gehen?“ Selten so etwas menschenverachtendes gesehen, trotz dass man ja danach generell nicht mehr lange suchen muss in diesen Tagen.
Das merkt zum Glück auch die DAK und tut das, was Krankenversicherungen am Besten können, nämlich extrem uncoole Werbekampagnen starten. Natürlich mithilfe einer PR-Agentur, denn warum sollte man irgendetwas selber machen, wenn eh alles egal ist, und das Ergebnis ist eine Reihe von Aufrufen, deren irgendwo vielleicht noch gerechtfertigter Inhalt von ihrem peinlichen Anbiedern an eine Jugend, die es nicht gibt, von vorneherein zunichte gemacht wird.
Danke dafür, das wird sicher helfen!

Man fragt sich, warum Leute auf den Weltuntergang warten. Postapokalyptisch sind wir längst.
Ob wir wollen oder nicht.

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