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24 May 2018
die Zeit ist reif

Verzicht, Askese und die 100% - eine assoziative Streitschrift rund um das fucking Smartphone

Vielversprechender Titel, dann mal los. Zur Analyse der gegenwärtig präsenten Kultur (das meint I-Länder, denn solange sowas wie Simbabwe nicht Youtube-Stars und Hollywood-Blockbuster liefert, sondern nur die seltenen Erden für die ganze Technik, die wir unbedingt dafür brauchen, ist es lustigerweise für den Diskurs irrelevant) bietet sich ja nun nichts mehr als das Smartphone an. Ah, gähn, eine linke Kritik an Smartphones, wie langweilig. Lieber ne Runde Candy-Crush zocken.

Erste Frage an mich selbst, um das Level der Infektion herauszufinden:
Habe ich schon mehr als einmal Candy-Crush gespielt?

Wer das mit ja beantwortet und das Problem nicht sieht oder sich dennoch für eine emanzipatorische Person hält, sollte diesen Text vielleicht weiterlesen. Das Smartphone ist eine sehr große Gefahr in vielerlei Hinsicht und das mehr als offensichtlich. Es soll hier aber nicht um Online-Sicherheit und Verschlüsselung o.ä. gehen; dieser Text tendiert, was das angeht, mehr zu Papierzetteln, die sich selbst zerstören.

Das Smartphone aber entmenscht denjenigen, der es benutzt. Unweigerlich. Das bedeutet nicht, dass es nicht möglich ist, ein Smartphone zu haben und die negativen Anteile daran bewusst zu meiden, es kostet allerdings wahnsinnig viel Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle. Vieles ist außerdem dennoch nicht zu vermeiden, denn auch die nützlichen Anteile des Smartphones sind unterm Strich alles andere als nützlich. Außerdem, wozu der ganze Aufwand? Es gibt doch (noch) die Alternative, nämlich einfach keins zu besitzen. Ja, ihr lest richtig, liebe Linke, die ihr die neoliberale Individualismuspropaganda geschluckt und als Selbstbestimmung maskiert habt, ich sage, ihr sollt kein Smartphone nutzen. Und ich meine es verdammt ernst. Natürlich könnt ihr machen, was ihr wollt, aber wenn ihr das wollt, ist es halt eine extrem naive und schädliche Entscheidung.

Subtilität ist doof. Niemand, der ansatzweise klar im Kopf ist, würde ein Buch des rechten Kopp-Verlages kaufen. Alle wissen: Dieses Produkt wurde von den Bösen gemacht, um Schaden anzurichten und mit dem Geld unterstützen wir die. Aber ein Smartphone ist etwas ganz anderes. Okay, das Böse ist hier weniger einfach zuzuordnen bzw kann man ja nicht konsequent alles meiden, was im Kapitalismus produziert wird. Und mit Geld unterstützt man ja immer Mist, da hat man ja kaum eine Wahl. Geschenkt! Interessanter wird es beim Schaden, den ein Produkt anrichtet. Die Puppe, die mein Kind abhört und mit Werbung berieselt? Kaufe ich natürlich nicht! Männer-Tee und Bratwurst für Frauen? Kaufe ich natürlich nicht, das ist sexistische Kackscheiße! Ein Smartphone? Klar, Ist doch harmlos, ist ja nur ein Gerät, ich entscheide ja, was ich damit mache. Außerdem haben doch alle meine Freund_innen auch eins. Die Schlagkraft der vorgebrachten Argumente bewegt sich in etwa in solchen Niederungen.

Nun, was macht das Smartphone denn so neues? Es liefert uns so gut wie überall eine Internetverbindung. Es löst mithilfe der zahlreichen Apps jedes Problem (vor allem viele Probleme, die es vor den Smartphones nicht gab). Es hilft uns aus der Patsche. Es zeigt uns die messbaren Daten der Umgebung und unserer selbst. Es hilft gegen Langeweile. Es beantwortet alle Fragen, die wir haben. Es kommuniziert mit uns.

Nichts davon ist ein Vorteil. Dass Dinge einfacher zu werden scheinen, hat einen hohen Preis, nämlich totale Abhängigkeit von einem Gerät und völlige Entmündigung. Das Smartphone verhindert, dass ich überlegen muss, wie ich ein Problem löse, da es für alles eine App gibt. Es suggeriert zusätzlich durch die Unzahl an verfügbaren Apps haufenweise Probleme, die keine sind (Zb Apps, die zählen, wie oft man sich in einer Beziehung küsst). Dadurch, dass alle die gleichen Apps benutzen, die meist auf kommerzieller Basis (d.h. ohne einen Deut echtes Interesse an dir und mir) entwickelt und verkauft werden, erfolgt eine massenpsychologisch so nie dagewesene Anpassung und Gleichschaltung.

Das Smartphone verhindert, dass wir überlegen, ob uns kalt oder warm ist, indem es uns die genaue Temperatur etc. nennt. Das Smartphone verhindert, dass wir überlegen, was wir in einer Beziehung wollen, weil das richtige Modell bereits in den Algorithmen der Apps festgeschrieben ist. Das Smartphone bringt uns dazu, nicht mehr zu fühlen, was wir wollen, weil die Bedürfnisse ja bereits kategorisiert und vorausgesetzt sein müssen, bevor die passenden Apps dazu entwickelt werden. Das Smartphone ist somit ein maßgeblicher Akteur im Ersetzen von individuell stets unterschiedlichen Gefühlen durch miteinander vergleichbare Zahlenwerte, von Qualität durch Quantität.

Das Smartphone spart uns angeblich Zeit, doch die Zeit, die es spart, ist in vielen Fällen diejenige, in der es zu einem reflexiven oder kreativen Prozess kommen könnte, würde das Smartphone nicht zur Stelle sein, um das zu verhindern. Diese Zeit sollte nicht eingespart werden. Sie hilft uns dabei, uns menschlich weiterzuentwickeln. Somit STIEHLT das Smartphone Zeit: Candy-Crush oder Dauersurfen hilft nicht gegen Langeweile, es IST Langeweile. Aber tote Langeweile. Denn Langeweile ist eigentlich gut: sie zwingt uns dazu, Phantasie zu entwickeln. Probleme selbst lösen ist eine unverzichtbare menschliche Eigenschaft. Das Smartphone verhindert durch seinen Allzweckcharakter, dass wir uns selbst zu Dingen ermächtigen und auch, dass wir uns selbst anerkennen können. Das Smartphone gibt uns keine Anerkennung. Es treibt somit all das aus der Welt, was ein menschliches Dasein ausmacht: Schwierigkeiten, Freude, Tiefsinn, Echtheit, Natur, Denken, Lernen, Erfolgserlebnisse und Niederlagen. Es macht uns zu einem völlig leeren und wertlosen Wesen.

Zweite Frage, die den Grad der Infektion herausfinden kann:
Nutze ich Apps für Dinge, die vorher eigentlich kein Problem darstellten?

Das Smartphone ist nicht nur nicht harmlos, sondern geradezu lächerlich gefährlich, lächerlich in dem Sinne, dass so viele Leute eins haben, die es eigentlich besser wissen müssten. Ich kann garnicht oft genug betonen, wie gefährlich das Smartphone ist und zwar gerade durch all diese subtile Entmenschlichung, die wem, ja wem wohl, dient? Denjenigen, die die Propaganda und Reklame machen, Politik, Wirtschaft, wieauchimmer, das Wichtige daran ist, nicht dir und mir.
Niemals.
Doch, oh nein, Verzicht? Muss ich mich selbst geißeln, dadurch, dass ich auf all diese Dinge verzichte, die das Leben einfacher machen?
Fortsetzung folgt.

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