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02 May 2018
Werbeunterbrechung, leider

Das hier ist eine Fotoaufnahme eines aktuellen Werbeplakats einer Mietwagenodersowasfirma:

Kackwerbung

Leider kann die Firma noch nicht mal ein gutes Bild ihrer eigenen Kampagne hochladen auf ihrem firmeneigenen Blog (!), daher ist nicht alles lesbar. Um Missverständnissen vorzubeugen: Unter dem „Namen“ des Autos („Honey“) steht: „4 Sitze – Kompakt – Neugierig“ und darunter wiederum „Mit mir wird es nie langweilig. Spring rein und schon geht‘s mit mir auf Spritztour.“ (oder marginal anders).

Soviel Mist in einem einzigen Plakat hat schon lange niemand mehr produziert; die Erwähnung und Behandlung auf Grillmöbel, dem „eigentlich einzigen Blog der Gegenwart“ (PC Praxis 3/13), möge als Negativauszeichnung für diesen Sachverhalt begriffen werden.
Es kulminieren verschiedene Akteure des Grauens in der dieser Werbung zugrunde liegenden Idee: Das Patriarchat, die neoliberale Agenda und die Ideologie des deutschen Kleinbürgertums. Logisch, denn durch diesen schrecklichen Dreiklang kann das kulturindustrielle Produkt die meisten Volldeppen (resp. Volldeppinnen) erreichen. Der sehr lustige Witz dieser Kampagne besteht darin, dass das Auto in einer Dating-Apps nachempfundenen Darstellungsweise angepriesen wird. Dabei ist das Auto ja gar kein Mensch! Ha, ha! Und Bedürfnisse nach Nähe oder sexuellem Verkehr an ein Auto zu richten, das ist ja nun wirklich absurd. Ein Auto ist doch jetzt wirklich nicht etwas, was man liebt oder zärtlich behandelt und pflegt und Autofahren keine Ersatzbefriedigung für (zB) sexuell Frustrierte. Nein, eine solche Interpretation wäre wohl einfach unplausibel.

Und deshalb ist diese Werbung sehr lustig. Bei allem konzipierten Witz zeigt sie aber auch die ernste Idee auf, die dahinter steht: Das Auto wäre eigentlich ein viel besseres Objekt der Begierde als Menschen (zB Frauen), denn ob man es „für eine Nacht“ braucht „oder länger“, entscheidet man selbst, ohne dass lästige Dinge wie Konsens zu beachten sind. Dass das Auto einem echten Menschen in nichts nachsteht und sicherlich auch einen gewissen Kink-Faktor hat, wird im Beschreibungstext in völliger Verdichtung zum Ausdruck gebracht: Es ist „neugierig“, „nie langweilig“, man kann “reinspringen“ (höre: bespringen) und los geht die „Spritztour“. Die beachtliche Masse an sexuellem Vokabular zeigt uns das Auto als wilden Lover, aber was ist mit denjenigen, die kein Abenteuer, seit jeher Domäne des umweltschädlichen Automobils, wollen, sondern etwas Festes? Nun, eigentlich ist das bei einer Mietwagenodersowasfirma zwar definitiv keine sinnvolle Projektionsebene, aber das heißt ja nicht, dass man die Möglichkeit nicht dennoch suggerieren kann: „oder länger“ heißt es hier; das erinnert an Selbstbeschreibungen auf Datingportalen: „looking for short or long term dating“ u.ä.
Dazu kommt der perfide gewählte Name des Fahrzeugs: „Honey“ heißt es; das schützt nicht nur vor dem Sexismus-Vorwurf („Honey“ als Kosename ist nämlich genderneutral einsetzbar, ach, diese cleveren Werbefatzkes), sondern lässt bei den ahnungslosen Leser_innen die Nähe und Geborgenheit einer langen Ehe, also der bürgerlichen Vorstellung eines glücklichen Lebens, zumindest kurz aufblitzen.
Diese Firma bietet also nicht weniger an als das perfekte Objekt jeglichen Begehrens. Außerdem ist es sehr einfach zugänglich (bisschen Geld, 95m entfernt) und wenn es einem nicht gefällt, kann man einfach zum nächsten weiterwischen. Vorteil gegenüber dem Dating von Menschen, zB Frauen (denn wir sind immer noch im Patriarchat und Autowerbung ist trotz allem vornehmlich an Männer adressiert; kein Mann muss sich rechtfertigen, dass es mit ihm „nie langweilig“ wird, oh nein.), der Vorteil jedenfalls ist, dass das Auto immerzu willig ist und nicht widerspricht. „Einfach losfahren, wohin du willst“ ist eine Abbildung des Wunsches nach Verkehr ohne Rücksicht, und Verkehr ist immer auch sexuell.
Darin zeigt sich auch der Unfug, der die neoliberale Idee ist und immer war: „wohin du willst“ ist fast wie „tun, was du willst“, denn das einzige, was dich gerade davon abhält, zu tun, was du willst (auch: dich selbst zu verwirklichen), ist, dass es keine gute Mietwagenodersowasfirma auf dem Markt gibt.
Doch diese Zeiten sind jetzt vorbei, jetzt gibt es drivy, ein Name, der dermaßen verspielt daherkommt, dass es sicher nicht übertrieben wäre, ihn als abgrundtief dümmlich zu bezeichnen. Er steht in einer Reihe mit schauderhaften englischen Vokabeln wie „sexy“, „joky“ oder„racy“ und weist darauf hin, dass der sexuelle Unterton nicht nur auf die hier besprochene Kampagne beschränkt ist. Wieso auch? Es ist eine bekannte Wahrheit, dass Werbeentwickler_innen davon überzeugt sind, dass „sex sells“. Das weiß man. Ob es wirklich so ist, ist dabei egal. Ich bezweifle es und frage mich eher, was das mit uns macht, wenn jedes zweite Werbeplakat uns in irgendeiner Weise an Sex denken lässt.
Fehlt noch das mit der bürgerlichen Ideologie. Nun, Grillmöbel-Leser_innen wissen, dass die Karre (hier: “Ein Auto”) stets der kleine Bruder der bürgerlichen Wohneinheit ist. Als solche muss sie natürlich auch das gesamte Bedürfnis nach Freiheit, die sich die Normalottos immer und überall versagen, „kompakt“ kompensieren: Tun, was man will? Ja, aber nicht überall (führt bekanntlich zu Chaos und Weltuntergang), sondern ausschließlich in den eigenen vier Wänden, ob diese jetzt für das Eigenheim oder das eigene Auto stehen. Ironischerweise gönnt einem drivy nicht einmal die üblichen Vorzüge des Privateigentums: Das hier enthaltene Freiheitsversprechen verspricht nur temporäre Freiheit gegen Gebühr. Und im Gegensatz zu einem auf Raten erworbenen Wagen oder dem Haus, auf das man eine Hypothek aufnimmt, wird sich dieser Zustand niemals ändern. Was sehr gut zu den Appellen dieser Zeit passt, die selbst denjenigen, die voller Inbrunst Ja zu dem allumfassenden Humbug der kapitalistischen Wirtschaftsordnung sagen, nicht mehr gönnen will, dass sie irgendwann frei sind von Gebühren und Abhängigkeiten: Wohin man auch schaut, alles wird transferiert in ein Abo-Plus-Modell, sprich: Monatliche Grundgebühr für eine lächerliche Basisversion und dann dazubuchbare Details (auch bei Autos kommt das übrigens), auf dass auch die kleinste und verkrüppeltste Form von Freiheit nur eine auf Zeit sei.
Das und nichts anderes sagt die neueste Werbekampagne von drivy, einer Mietwagenodersowasfirma, die auch jede andere Firma mit jedem anderen abgrundtief dümmlichen Namen sein könnte.
Zum Schluss noch etwas zum Aufmuntern.

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