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02 Jan 2018
Wirf dich in Schale, Liebling, der Kammerjäger kommt

Oh nein, noch ein Jahr. Die zyklische Zeit, die Debord (siehe letzter Post) in der vorindustriellen Gesellschaft verortet, von natürlichen Prozessen begünstigt, wird (selbstverständlich) vom kapitalistischen Alltag zerstört bzw. ersetzt durch totale Stagnation im entfremdeten Fortschritt.
Was dazu führt, dass “das Jahr” heute unerträglich nervt. Es startet mit symbolischem Krieg am
1. Januar, im Februar ist Fasching, dann irgendwann Ostern und diverse andere kirchliche Feiertage, im Sommer kommen die Großveranstaltungen, entweder Fußball oder Wahlen, und ab Oktober ist endlich wieder Vorweihnachtszeit.
Für die Fans gibts noch Muttertag und St.Martin/Karnevalsbeginn und für die wenigen Wochen, in denen mal nichts ist, sieht die Kulturindustrie dann noch lustige Dinge wie Valentinstag oder Halloween vor, die sie wie besessen versucht, von dort, wo sie immerhin natürlich gewachsen sind, dorthin zu importieren, wo dringend noch Pseudofeieranlässe gebraucht werden. Überhaupt müssen natürlich auch noch alle einzelnen Menschen ihre Geburtstage feiern, was nichts anderes heißt als durch Vorschriften zu einem Ritual des Immergleichen zu machen. “Dieses Jahr machen wir nichts Großes.” Und dann machen sie doch was Großes.
Der damit verbundene Zwangskonsum ist überhaupt nicht das Schlimme; ihm ist es teilweise möglich, sich zu entziehen. Das Problem ist, dass man zunehmend im Jahr gefangen sich fühlen wird, weil das Ende eines Ärgernisses gleichbedeutend ist mit dem Beginn des nächsten. Ist Ostern mit seinem ganzen Vor- und Nachlauf, der natürlich stets medial thematisiert gehört (“Heute beginnt für viele Christen die Fastenzeit”), endlich vorbei, kündigen sich plötzlich die olympischen Spiele oder irgendsoein Quatsch an, um den “es” dann “geht”; hat man sich gerade von Frank Zanders Weihnachtsessen für Obdachlose erholt und ist vielleicht sogar nicht den an Sylvester erlittenen Wunden erlegen, ist bald schon wieder Weihnachten. Ein Kreislauf, der vom Staat und der Kulturindustrie betrieben wird, und der nichts, aber auch garnichts mit der zyklischen Zeit zu tun hat, möge er auch dem Äußeren nach zyklisch sein. Der moderne in den Industrieländern lebende Mensch hat keinen Grund, Geister zu vertreiben, für die Ernte zu danken, Jesu Geburt, Tod, Wiederauferstehung, Tod Nummer 2 oder wasauchimmer zu gedenken, weil sein Leben von all diesen Sachen nicht geprägt ist, sondern von Wimpernfärben, sich kaputtackern und Ed Sheeran, wer auch immer das ist. Geht der Gehalt verloren, kann, was bleibt, bloß Fassade sein und zehnmal im Jahr ritualisiert und “getrennt” (Debord) von dem jeweiligen Anlass zu “feiern” ist nichts anderes als langsam und qualvoll zu verrecken.
Zum Glück für die Herrschenden bietet sich hierbei eine hervorragende Möglichkeit zum verkürzten Argumentieren an. Da sie wissen, dass letztlich an diesem durchdefinierten “Jahresplan für die Bürger” (Grillmöbel) alles hängt, wird jeder Angriff darauf brutal geahndet; was letzten Endes übrig bleibt, ist ein vor Verzerrung triefender Syllogismus à: “Feste sind gut und schön. Wer Feste kritisiert, kritisiert somit etwas, was gut und schön ist. Wer etwas Gutes und Schönes kritisiert, ist ein Muffel/eine Spaßbremse/ein Asket. Also haben nur Spielverderber etwas an Festen auszusetzen.” Nichts funktioniert für die Bejahenden besser, als die Verneinenden als spaßlos, grimmig, piefig und verbittert darzustellen (was auch dazu führt, dass sie es unter Umständen werden, aber das nur am Rand. Ja, Rand! Nicht Rande, Rand!) und sich selbst als die Genussmenschen. Die Frage ist ja nicht, ob es mir auf einem Weihnachtsmarkt gefällt (“Der Weihnachtsmarkt in Düsseldorf ist ja ganz schön” Zitat Frau im Zug, Wahrheitsgehalt zweifelhaft), sondern warum zum Geier ich überhaupt einen Weihnachtsmarkt will bzw. wollen kann.
Um es noch einmal klarzustellen: Die Feste werden von Staat und Wirtschaft definiert, die Behörden machen die passenden Vorschriften, eine Konsuminfrastruktur wird bereitgestellt. Nirgends geht es darum, ob das irgendjemand möchte. Das letzte, was ich feiern kann, ist, dass dieses endlose Spektakel des immergleichen Ritualfeierns nun wieder von vorne losgeht (was ja auch nur eine Illusion ist, weil willkürlich ein Cut gesetzt wird).
Soviel also zum Jahr. Ich will es garnicht haben.

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