31 Jan 2017
Salz vor Gericht
Keine Ahnung, welcher Tag es ist, irgendwas zwischen Mittwoch und Freitag (Donnerstag vielleicht?) und ich laufe mitsamt Kinderwagen und -insassen durch die Stadt und befinde mich im Nurnochkindzustand, das ist, wenn der Alltag mit Kind so viel einfordert, dass irgendwann zwar noch das funktioniert, also der Alltag mit Kind, aber sonst nix mehr, dass also keine Konzentration mehr für irgendwas da ist, was nicht dem möglichst langen eigenen Überleben oder dem des Kindes dienlich ist, also im Nurnochkindzustand laufe ich jedenfalls umher, der Kinderwagen klappert mit etwa 8-10 Sachen (=km/h) durch die Gegend, um anzukommen, bevor die Insassen unruhig werden, wie immer kommen zahlreiche andere Kinderwagenschieber_innen mir entgegen und im Nurnochkindzustand schreit mich geradezu an, was sie eigentlich nur ausstrahlen, zum Beispiel plärrt mir eine Frau zu, die gerade ihr natürlich perfekt eingepacktes braves Kind im 4-rädrigen, leicht lenkbaren Buggy vor sich her schiebt: „Ach übrigens, bei uns ist alles immerzu gut! Das Kind ist nichts als eine Bereicherung für unser Leben!“, was ich mit einem verwirrten Grummeln quittiere, dann kommt eine Gruppe junger Männer, von denen ich aus irgendeinem Grund denke, dass sie gerade einen Live-Rap-Battle abhalten, eigentlich unterhalten sich aber nur zwei und der dritte putzt sich (vielleicht etwas zu rhythmisch für den Nurnochkindzustand) die Nase, ihnen folgt ein lachendes Pärchen, das sich über die neusten Flausen ihres quietschvergnügten Nachwuchses öffentlich freut, als wäre ein Baby haben so wie bei Modern Family: ein oder zwei Episoden lang „gehen die Eltern auf dem Zahnfleisch“ wegen Wickeln und Schreien und thematisieren dann mit haufenweise Pathos, wie sehr sie das unterschätzt haben und ab dann spielt das Kind nur noch im Hintergrund mit sich selbst und kommt gelegentlich nach vorne ins Bild, um etwas unfreiwillig komisches zu sagen oder sich niedlich zu verhalten, während die Eltern exakt die gleichen Abenteuer erleben wie vor dieser ganzen Posse, die ein Kind haben in Serien ist, ja genau das sagt mir dieses Pärchen, ich beschleunige auf 13 Stundenkilometer, was in dem verkehrsberuhigten Bereich, in dem ich unterwegs bin, weit über dem gesetzlichen Tempolimit sein dürfte, egal, nur ankommen, nicht noch mehr Abzieheltern begegnen, weiter weiter, und schon wieder, diesmal „ein Papa“, der, großzügig wie er ist, seine Zeit für das Kind opfert, während „die Mama“ sich aus emanzipierten Gründen abrackern darf, obwohl man der nach 10 Monaten Schwangerschaft und Geburt auch einfach mal ein „Sabbatical“ gönnen könnte, denke ich, aber dafür ist natürlich keine Zeit, denn Bonding Stillen Jugendamt und überhaupt muss man von etwas leben, jedenfalls mustert mich „der Papa“ und sagt vertraulich: „Ach ja, es ist schon nicht immer leicht mit den Kleinen… da weiß man am Ende des Tages, was man geschafft hat. Aber wenn mein Kleiner dann abends beim Insbettgehen mit mir lacht, dann hat sich das alles gelohnt.“, woraufhin ich ihn umboxe, damit „sein Kleiner“ nichts mehr zu Lachen hat, natürlich tue ich das nicht, ich sage nur: „Sie sind der Schlimmste von allen“ und gehe weiter meines immer kürzer werdenden Weges, denke dabei, dass mir ungefähr 87 tatsächlich erlebte Einzelsituationen einfallen, in denen das Insbettgehen mitnichten so romantisch war, aber darüber redet man halt nicht, wieso auch, es hat sich ja alles gelohnt, wenn das Kind lacht, klar, so einfach ist das, oder vielleicht ist es auch eigentlich überhaupt nicht einfach, sondern sehr sehr schwierig und anstrengend, aber man hat zuviel dummes Fernsehen intus, wie als Rachel bei „Friends“ auf ihrer „baby shower“ merkt, dass man unbedingt Humbug wie einen speziellen Windelmülleimer braucht, wenn ein Kind kommt, und über derlei Konsumgütern brütend so etwas wie Demut vor dem entwickelt, was kommt, ja, klar, wenn die primären Probleme in fehlender Ausstattung bestehen, können sie durch Konsum gelöst werden, also kann man sich das Einkindhaben einfachkaufen, was natürlich auch wirklich stimmt, siehe Leute wie Promis, die sich halt zu ihren 14 Anwesen (der neuerdings immerhin insolvente Depp) die Kindererziehung per Personal dazuleisten, diese Leute haben keine Ahnung von irgendwas und deswegen spielen sie dann auch bei „Friends“ mit anstatt, und hier fließt in meine wirren Nurnochkindzustandgedankengänge plötzlich Werbung für ein Buch ein, „The Fifth Child“ von der göttlichen Doris Lessing zu verfilmen, göttlich, weil die nämlich sehr wohl weiß, dass das Setting einer bürgerlichen Familie mit fünf (5) Kindern bereits zum Horrorroman ausreicht, Menschen mit mehr als 3 Kindern sollten in den Knast, denke ich weiter, während mir mein Ziel nicht langsam, aber sicher, sondern eher schnell (~20 mph) und unsicher ruckelnd entgegen kommt, eine letzte Frau brüllt mir zu: „Der Warmhaltesack ihres Buggys schleift auf dem Boden und wird daher schmutzig! Ändern Sie das umgehend, sie Rabenelternteil!“, dann bin ich da und mir fällt auf, dass das Kind den kompletten Weg über völlig unkompliziert und entspannt war.