17 Aug 2016
Berichtigung - Pippi Langstrumpf kann nur tun, was sie will, weil sie sehr viel GOLD hat
Nachdem die Außenwelt mich nur mit der Info versorgt, dass der Zug mit dem Nazigold immer noch nicht ausgegraben wurde und Johnny Depp ein, naja, Depp ist, ebenso wie wer auch immer über ihn schreibt, bleibe ich lieber in der Kleinkindwelt, wo es ein neues Spiel gibt, bei dem wir uns gegenseitig die Haare vom Kopf fressen (ich wörtlich, das Kind leider metaphorisch), das macht mehr Spaß. Oder lese ein Geschichtsbuch. Oh, da fällt mir, wo ich rein zufällig ein Geschichtsbuch erwähne, wieder ein, worüber ich schreiben wollte, nämlich über den Zusammenhang zwischen dem Drang, Dinge zu ordnen und dem Bösen. So wurden mir aus unterschiedlichen Quellen in der letzten Woche zunächst unverknüpfte Äußerungen zugetragen. Zum Einen äußerte sich ein Gegenüber, als es um verkehrspolitischen Umgang mit einem Naturschutzgebiet ging (ich interessiere mich aus genetischen, ökopolitischen und allgmein menschlichen Gründen für Verkehr und Mobilität. Zudem kann man daran extrem gut die Unsinnigkeit der kapitalistischen Funktionsweise ersehen), in einer Weise, die keinen Zweifel daran ließ, dass die Erschließung eines jeden erschließbaren Gebietes das Ziel sei, wovon, sei einmal dahingestellt. Ich kritisiere diese Art zu denken (heute) nicht wegen ihrer klaren Verwertbarkeitsideologie.
Dann las ich in jenem Geschichtsbuch, dass Kaiser Karl der Große nicht zuletzt für eine weitgehende Bürokratisierung des Lebens verantwortlich war, was sich im Extremfall in dem Versuch ausdrückte, selbst die wirren Sitten und Bräuche eines jeden Stammes des Frankenreiches schriftlich festzuhalten, um Sachverhalte besser überprüfen zu können. So das Geschichtsbuch. Wie bereits der Begriff des „schriftlich Festhaltens“ offenbart, machte er sich damit denselben Effekt zunutze wie vor ihm die mittelalterlichen Pfaffen und heutzutage der wahnsinnige Kopp-Verlag (so nicht das Geschichtsbuch), dass nämlich wahr und unveränderlich sei, was geschrieben steht. Doch ich kritisiere (heute) diese Art zu denken nicht ob ihrer Stasis.
Zuletzt (und damit fiel dann der Groschen) habe ich ein Buch von Robert Merle über den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß (nicht zu verwechseln mit dem Rennfahrer Rudolf Hasse) begonnen, dessen, also des Buches, Ziel wohl eben wie bei diesem großartigen Werk von Gudrun Pausewang oder vielleicht auch bei diesem „Er ist wieder da“-Dings-Buch, das ich noch nicht kenne, weil es zu populär ist, darin besteht, die Dämonisierung einzelner Menschen aufzuheben durch die empathische Beschreibung eines Lebens, das vielen hätte zustoßen können und eben nur in einem Fall zu dem Ungeheuer Höß geführt hat, wofür natürlich nicht dessen intrinsische Bosheit, sondern repressive Ideologien, die falschen politischen Strukturen und schlechtes Timing verantwortlich waren. Merle nennt Höß einen „Mann der Pflicht“, der „kein Sadist“ war. Und es ist wahr. Um die Grausamkeiten des NS zu begehen und vor allem zu organisieren, brauchte es nicht massenhaft Sadisten, sondern massenhaft gehorsame Männer (und Frauen) der Pflicht. Doch ich will diese Art zu denken (heute) nicht ihres Gehorsams wegen kritisieren.
Warum schlug irgendwas in meinem Kopf nun eine Brücke zwischen all diesen Dingen? Was hat ein Fahrradweg in der Eifel (Beispiel) mit Judenvernichtung zu tun? Nichts natürlich, aber mir scheint da ein Drang zu sein in vielen Menschen (ich kenne mehrheitlich Deutsche, vielleicht liegt es auch daran), alles zu ordnen, zu erschließen, zu verwalten, der schnell bereit ist, irrationale Ideen und auch böse Ideen zu begünstigen. Zum Beispiel. Wäre in der Eifel verkehrstechnisch nun alles erschlossen bis auf ein kleines Gebiet. Dieses zu erschließen hätte einen geringen Vorteil, wäre aber auch nicht teuer, also würde die Erschließung durchgeführt. Die Nuance, um die es mir hier geht, ist diejenige, dass in diesem Fall die Tatsache, dass damit die ganze Eifel erschlossen wäre (alles fiktiver Firlefanz, ich habe keinen blassen Schimmer von Landplanung in der Eifel), keinen eigenen Wert hat und niemandem ein tatsächlicher Vorteil ist. Doch genau ein Verlangen nach solch einem Abschluss, nach einer Totalität gar, scheint mir bisweilen eher die Motivation für Dinge zu sein. Nun schadet es natürlich keinem besonders, wenn irgendein Familienvater aus einer solchen Vollständigkeitsvorstellung heraus in seinem Haus sinnloserweise jedes Zimmer mit einem Telefon ausrüstet, von denen dann einige nicht benutzt werden. Wenn aber in Berlin eine Autobahn geplant wird, die die Stadt nicht zahlen kann und eigentlich auch nicht bauen, zumindest nicht, ohne dass es für viele Bewohner_innen und Gegenden in einer Katastrophe endet, dann wird sie meiner Meinung nach vor allem deswegen geplant, weil die entsprechenden Polit-Nasen sich nach der Schönheit/Einfachheit/Symmetrie/Abgeschlossenheit/Totalität eines Berliner Autobahnrings sehnen. Man betrachte das S- und Ubahnnetz der Stadt und gebe mir dann noch Unrecht. Es wird also völlig ignoriert, wie unfassbar irrational und ungewollt ein solches Bauprojekt ist, und das mit der indirekten Begründung, dass etwas Halbes nichts Ganzes ist. Dass die Baubranche im heutigen Katastrophenkapitalismus immer boomt, ist die traurige Apologie dieser Denkweise des Ordnens.
Weiter zum Ordnen: Ich würde niemals behaupten, dass es funktioniert, das Ordnen. Im Gegenteil, Bürokratie ist geradezu lachhaft unverständlich und surreal, in Verkehr wie im Sozialen funktioniert eigentlich überhaupt nichts, doch die Ordnung steht (wahrscheinlich seit Karl dem Großen) stets als primäre Motivation hinter den politischen Entscheidungen und generiert gerade dadurch Chaos, aber nicht das gute, sondern das von oben verwaltete Chaos, welches wiederum den Anspruch des Ordnens legitimiert. Das Festhalten am Ist-Zustand, so lange irgend möglich, ist ja hier wie in vielen anderen Ländern das Wichtigste und so werden schwer änderbare Verfassungen gewoben, alle wichtigen Prozesse so langsam und schwierig wie möglich gehalten und die Menschen, die regiert werden, aus alledem möglichst total entfernt (denn das wäre ja noch komplizierter, wenn jede_r mitreden möchte!). Das Leben bzw. die Welt drumherum hält jedoch nicht an und die Dinge ändern sich, teilweise sehr schnell. Das offizielle Ich des Staates hinkt der Realität hinterher, zu beschäftigt ist es damit, eine Ordnung und Sicherheit und Stabilität zu inszenieren, die mit der Realität völlig unvereinbar ist. Dieser Widerspruch ist das oben genannte verwaltete Chaos, das für den Staat das geringere Übel zu einem staatsbedrohenden Chaos ist, aus dem tatsächlich etwas erwachsen könnte, und zudem ja auch dem Zweck dient, weiterhin nach Ordnung rufen zu können. Kein Wunder hat dann, so das Geschichtsbuch, unter Karl dem Großen das Frankenreich besser denn je funktioniert. Doch will ich in einer Diktatur leben, weil sie so gut funktioniert? Womit wir bei Höß und der Banalität des Bösen (Ahrendt, umstritten) wären. Angesichts der bekannten Fakten über den NS sollte ich wohl eher froh sein, dass der Prozess des Ordnens nicht so reibungslos funktioniert, wie er es schonmal tat. Denn was ist verbrannte Erde? Die totale Zerstörung, die endgültige Klarheit, die letzte Ordnung. Die Sprache des NS ist voll mit solchen Bildern, die mir (leider) auch schon mit der totalen Erschließung der Eifel zu beginnen scheinen. Es ist kein Zufall, dass die unzähligen Grausamkeiten dieser Zeit von Bürokraten verwaltet und organisiert wurden, wenn auch nicht ausgeführt. Der Drang nach Vollständigkeit, nach Organisiertheit aller Lebensbereiche, nach Sauberkeit/Reinheit, nach (totaler) Klarheit, nach Einfachheit ist etwas, dem ich eine sehr große Rolle in allen verbrecherischen Regimes dieser Welt beimesse. Und ob Horkheimer die katastrophalen Konsequenzen der Naturerschließung beschreibt oder Merle am Beispiel von Höß, wie die unabweichbare Klarheit über das moralisch Richtige und das Interesse an möglichst effeizienten Säuberungsmaßnahmen einen Menschen zu den ungeheuerlichsten Verbrechen treiben kann, ob das Geschichtsbuch vergisst, die Administration des Frankenreiches aus der Perspektive der vormals autonomen Stämme zu betrachten oder ob der Berliner Senat ein irrwitziges Bauprojekt verfolgt, weil es Ganzheit und Abgeschlossenheit suggeriert, überall wirken ähnliche Mechanismen, und auch wenn eine Autobahn weniger Menschenleben zerstört als die Endlösung, darf vor allem in Deutschland, aber auch überall sonst nie wieder irgendetwas aus einer dieser Motivationen heraus entstehen, wenn es ansonsten totaler Käse ist.
Dieser Text -wichtig- ist nicht dazu gedacht, meine eigenen durchaus vorhandenen Tendenzen zu Chaos zu legitimieren oder sakrosankt zu machen oder andere Menschen wegen konträrer Tendezen abzuwerten. Dass das zwingende Bedürfnis nach Ordnung und co. nichts harmloses ist, darum geht es. Es darf gerne jemand eine Streitschrift gegen das Chaos verfassen!
Aber in der Zwischenzeit: Vielleicht mal etwas unabgeschlossen, unklar, dreckig, chaotisch, halb und unordentlich lassen und damit klarkommen lernen, denn ein Arsenal wirrer Charaktere mit schmutzigen Fingernägeln ist etwas, was der Faschismus in seinem Entstehen nun wirklich nicht gebrauchen kann.
Apropos Entstehen des Faschismus. Die Partei „Pro Deutschland“ sagt Nein dazu, dass homosexuelle Lebenspartnerschaften vollständig der Ehe gleichgesetzt werden. Begründung:
„Die homosexuelle Lebenspartnerschaft ist eine homosexuelle Lebenspartnerschaft und keine Ehe.“
Ordnung um jeden Preis - auch im Kopf.