14 Apr 2016
Es gibt Hagel und Graupel und dann gibt es noch Graupen, aber das kann man essen
Aus gegebenem Anlass (Baby und so) fiel mir das scheußlichste und fieseste aller Gutenachtlieder wieder ein: Guten Abend, Gut Nacht. Kommt zwar ohnehin nicht für mich infrage, aber ich bin dann doch wieder darüber gestolpert, wie heftig der Text ist. Ich zitiere: „Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.“ Mal abgesehen davon, dass ich wie mittlerweile sicher auch die meisten metaphysischen Christen bezweifele, dass Gott nichts besseres zu tun hat als jeden Morgen erneut alle seine 7 Milliarden Schützlinge aufwachen zu lassen, geht es ja um die Funktion dieses „wenn“. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Ist das „wenn“ temporär eingesetzt, im Sinne von „sobald“, entscheidet Gott jeden Morgen über die genaue Uhrzeit bzw. wir müssen uns mit dem Aufwachen gedulden, bis Gott in der richtigen Mood ist für uns. Fair enough. Ist das „wenn“ aber konditional wie z.B. dieser Satz, also synonym zu „falls“, besteht die Bedingung für unser Aufwachen darin, dass Gott es billigt, dass wir noch einen Tag leben. Ekelhaft, sowas. Das ist jetzt kein Vorwurf an Clemens Brentano, der wird da jetzt nicht groß über Grammatik nachgedacht haben, aber auch darüber hinaus wirkt dieser Nebensatz seltsam und unpassend, auch ein wenig, als ob ein Kirchenvertreter peitschenschwingend hinter dem Dichter sich befände. Es ist, als hätte jemand ursprünglich schreiben wollen: „Morgen früh wirst du wieder geweckt“, aber dann aus metrischen Gründen noch diesen albernen, aber folgeträchtigen Einschub vorgenommen, so nach dem Motto: Achja, und bevor ihrs vergesst, wir alle sind nur Spielfiguren vom lieben Gott. Dann die Textzeile auch immer noch schön wiederholen, damit dem einzuschläfernden Kind vor allem in Erinnerung bleibt, dass sein Leben willkürlich aus der Ferne gesteuert wird (mit solchen Gedanken will man ja auch einschlafen). Wer sagt, dass Kinder diese Implikationen nicht wahrnehmen, mag recht haben oder lügen, allein das Risiko ist zu groß, um ein solches Lied tatsächlich in diesen Tagen noch einzusetzen. „Guten Abend, Gut’ Nacht“ gehört nicht an Kinderbetten, sondern (wenn überhaupt) in philologische Blogposts, Grillmöbel gibt wie immer den Trend vor. Von Yok gibt es übrigens eine Adaption in dem Lied „Punkrocksonne“, wo es heißt: „Morgen früh, wenn die Punkrocksonne will, wirst du wieder geweckt“- hervorragend. Ich bleibe allerdings bei meinem üblichen Gutenacht- und Sauflied The Parting Glass – deutlich besser für das Kinderwohl als dieser althergebrachte Quatsch.