grillmoebel
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23 Feb 2016
I don't make the rules, I just follow them blindly

Zuerst dachte X, wenn der Tag schon so losgeht. X hatte die Straßenbahn Richtung Innenstadt genommen, war so frohgemut, wie jemand sein kann, der zum Job Center unterwegs ist, nämlich noch nicht einen Deut, und dann kündigte sich an der nächsten Haltestelle, einem großen Verkehrsknotenpunkt, durch einen Auflauf von Uniformierten eine Fahrscheinkontrollrazzia an, wo wirklich nur noch Hunde und Pferde die Unverhältnismäßigkeit noch lächerlicher illustrieren könnten. X hatte keinen Fahrschein, da X der Meinung war, öffentliche Verkehrsmittel sollten nicht exklusiv für Menschen mit Geld nutzbar sein. Eine angemessen unfreundliche Gestalt baute sich vor X auf und verlangte nach dem, was X nicht hatte und nicht brauchte, dieses auf eine bestimmte Art und Weise bedruckte Stück Papier, so fiktiv wie das Geld selbst, das es kostet. X erklärte, dass die Bahn X trotz anderslautender Aufkleber ja auch ohne Fahrschein transportiere und überhaupt sei das doch alles Unsinn mit dem Geld. X war schon bereit für den üblichen Blödsinn, den nur sogenannte Autoritätspersonen von sich geben können, doch anstelle davon entgegnete Uniformo nur:
Sie denken wohl, Sie stehen über dem Gesetz! Beförderung nur mit gültigem Fahrausweis, hier steht es doch, können Sie nicht lesen? Und wie sehen Sie überhaupt aus? So, und nun her mit dem Geld, 60 Euro macht das, das ist die verhältnismäßige Strafe für Ihr Vergehen.
Naja, dann lass ich Sie heute mal davonkommen. Die Verkehrsgesellschaft hat ja keinen Nachteil davon, dass Sie jetzt hier mitfahren.“
Einigermaßen verwirrt, aber auch gestärkt, stieg X an einer anderen Haltestelle aus, wo das Job-Center mit seiner scheußlichen Architektur bereits das Bilckfeld dominierte. Der Wartenummerkartenherausgebeautomat gab X die Karte mit der Wartenummer 4375 heraus, die Anzeige war bei Wartenummer 1, es war schließlich 8 Uhr morgens. Zum äußerst notwendigen Zeitvertreib belauschte X die Gespräche anderer Warteprofis. Eines drehte sich um Arbeit; eine Gerade-noch-so-Teenagerin fragte ihre BFF über ihre Karriere aus, die irgendwo zwischen zuhause Nichtstun und woanders Nichtstun angesiedelt gewesen war, bis irgendwer das dem Staat gesteckt hat, weshalb sie nun von einer Zwangsmaßnahme in die nächste weitergereicht wurde. Irgendwann wird sie davon völlig ausgezehrt sein, dachte X, soviel Zwang, und dann muss der Staat ihr eine Betreuungsperson stellen, ist das nun Gerechtigkeit? Doch soweit war es ja noch nicht und die BFF gab gute Ratschläge, um das zu verhindern, sie solle doch am Besten irgendwo als Putzkraft arbeiten oder zumindest eine Ausbildung oder ein Studium durchziehen, der Arbeitsmarkt werde schließlich nicht großzügiger. Die Angesprochene reagierte souverän und erklärte, dass sie aber nichts für Geld tun wolle, denn was sie gerne tue, tue sie auch ohne Gegenleistung und was sie nicht gerne tue, das wolle sie ja eben nicht tun. So weit, so gut, dachte X. Die BFF hatte aufmerksam zugehört und entgegnete:
Na ja, so geht es uns ja allen. Aber von irgendwas musst du ja auch leben! Und die ganzen anderen Leute schaffen das ja auch irgendwie!
Du hast natürlich recht, dann mach das auch nicht. Ich unterstütze dich dabei.“
Nach Stunden vollen Erstaunens starrte X (endlich?) in das Gesicht der Amtsperson, die X bereits am Rügen war: „Ich sehe hier, sie haben ihre Bewerbungsschreiben absichtlich schlecht formuliert, damit Sie erst garnicht eingeladen werden. Bei sowas verordnen wir für gewöhnlich ein Bewerbungstraining!“. X ging auf volles Risiko, wann, wenn nicht heute, und antwortete, dass X eben lieber von dem wenigen Hartz IV-Geld leben wolle als sich ausbeuten zu lassen. Außerdem sei X im Grunde für ein bedingungsloses Grundeinkommen, damit wären viele dieser Probleme ohnehin obsolet. Wer wagt, der findet:
Denken Sie, ich und der Rest der arbeitenden Bevölkerung haben Lust, uns 40 Stunden die Woche den Stock in den Arsch zu sitzen, nur damit Sie auf der faulen Haut liegen können? Sie Schmarotzer, Sie Sozialist, Sie! Ab zum Bewerbungstraining, aber dalli!
Das wäre wirklich toll“, sagte die Amtsperson, „dann müsste ich nicht Tag für Tag hier sitzen und irgendwelche Leute zurechtweisen, sondern könnte etwas tun, was Spaß macht, zum Beispiel neue Technologien ersinnen oder ein Richtfest feiern! Wissen Sie was, Sie können von mir aus machen, was Sie wollen, was hab ich denn persönlich davon, Sie jetzt hier zu irgendwas zu nötigen, wo Sie offensichtlich keinen Bock drauf haben. Gehen Sie, husch, husch!“
An so einem Glückstag, dachte X, als X das nicht mehr ganz so abscheuliche Amtsgebäude verließ, schau ich mal noch eben beim Supermarkt in den Container, ob die was Gutes weggeschmissen haben. Der große Container war prall gefüllt mit Produkten der Sparten Süßigkeiten und Tiefkühlkost, offenbar das halbjährliche Großausmisten. Gerade als X die letzten zwei Schokoriegelpackungen verstauen wollte, erschien ein Angestellter des Ladens und fragte, was X da tue. X antwortete, X beschaffe sich Lebensmittel, die sonst niemandem mehr nutzen würden, und fragte zurück, nunmehr der Defensive entwichen, warum der Laden nicht das Großausmisten ankündigen könne und das Zeug öffentlich verschenken, wo es doch ohnehin sonst niemandem nutzen würde.
Was Sie hier tun, ist Diebstahl. Der Müll ist immer noch Eigentum der Firma Bla. Außerdem, nicht dass Sie uns nachher verklagen, weil Sie was nicht vertragen haben. Und finden Sie das nicht eklig? Achso, und zu ihrem Vorschlag, was haben wir von der Firma Bla denn davon, wenn wir das alte Zeug verschenken, wenn ansonsten die Leute wieder neues Zeug kaufen? Einfach mal mitdenken!
Oh, das ist eine Super-Idee, ich werd das gleich dem Management vorschlagen! Obwohl, nein, ich mach es einfach selbst gleich, das geht schneller.“
Auf dem Rückweg zur Wohnung am Stadtrand brauchte X Hilfe („Hätten Sie sich das nicht vorher überlegen können? Und wie das stinkt!Na klar, ich helf Ihnen gerne, dann kann ich meine Mittagspause noch ein bisschen ausdehnen!“),
ging an einer Wohnungsbesichtigung vorbei („Hier sind sämtliche Dokumente in einer edel bestickten Mappe für Sie vorbereitet. Für weitere Informationen wenden Sie sich an meinen Buchhalter. Oh, hier unten ist ja ein Konzertveranstaltungsraum. Dann ist das wohl nicht die richtige Wohnung für mich, der ich stets der Ruhe bedarf. Vielleicht sollte ich ohnehin nicht mitten in einen Szenebezirk ziehen.“)
und rief beim Vermieter an, weil X gemerkt hatte, dass X vergessen hatte, die Miete zu überweisen („Überweisen Sie umgehend an folgende Bankdaten + 25 Mahngebühr und erlauben Sie sich das nicht nochmal, sonst haben wir das Recht aus eine fristlose Kündigung!Kann doch mal passieren, wir sind doch alle nur Menschen. Überweisen Sie, wenn Sie das Geld haben, oder lassen Sie es einfach sein, wir haben hier ohnehin alle genug und tun sowieso nichts für Sie und ihre Wohnung. Ciao ciao!“).
In der Tram über diesen wunderlichen Tag sinnierend, merkte X nicht, dass sich erneut eine Fahrkartenrazzia zusammenbraute, diesmal an der Haltestelle, wo X rausmusste. Jetzt entscheidet es sich, dachte X und schilderte wie einst zu Beginn des Textes den Grund für die Fahrscheinlosigkeit.
Sie denken wohl, Sie stehen über dem Gesetz! Beförderung nur mit gültigem Fahrausweis, hier steht es doch, können Sie nicht lesen? Und wie sehen Sie überhaupt aus? So, und nun her mit dem Geld, 60 Euro macht das, das ist die verhältnismäßige Strafe für Ihr Vergehen.
Hm, jetzt wo Sie es sagen, muss ich zugeben, dass dieses ganze System mit den Fahrscheinen vor allem dazu führt, dass eine 2-Klassen-Gesellschaft von beförderungswilligen Menschen erzeugt wird. Und anstatt dass wir dem entgegenwirken, bestrafen wir auch noch die, die das erkennen oder die ohnehin am wenigsten haben und stecken sie in die Knäste. Nein, diesen Job mache ich nicht mehr, Ihnen einen schönen Tag noch!“
Die Uniform war schneller weg, als X Ypsilon sagen konnte und spätestens dann stellte X fest, dass die Menschen angefangen hatten, zu denken. Und freute sich. Auf das, was kommen würde. Erstmals.

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