09 Jan 2016
Mara und dann was?
Lemmy ist tot, das ist nunmal so (und damit sei die Quadrologie abgeschlossen); es stellt sich nun die Frage, was die verbliebenen Menschen jetzt tun können. Wer schon zu kaputt ist, sich immer wieder diese Frage zu stellen, möge die Lektüre am Besten gleich abbrechen und sich mit diesem Lied trösten. Ansonsten gibt es ja unter den Milliarden von Menschen, die zwar unterm Strich durchaus die Bezeichnung „disease upon the world“ (L.Kilmister) verdienen, ebenso durchaus auch immer wieder interessante Leute, die nicht nur Stumpfsinniges von sich geben oder in ihrer erbärmlichen bürgerlichen Scheinwelt kleben bleiben. ZB Doris Lessing, die unter Anderem Guten ein Buch, das nach den beiden jugendlichen Hauptfiguren „Mara und Dann“ heißt, ersonnen hat. Das Szenario, welches hier beschrieben ist, ist beängstigend, da es im Gegensatz zu anderen Dystopien nicht einen Zustand schildert, in dem technische Entwicklungen irgendwelche Schreckenssysteme hervorrufen oder so, sondern eine Welt, in der diese Phase bereits vorbei ist und durch Klimaveränderungen große Teile der Landschaft zerstört oder unbewohnbar geworden sind. In der die beiden kindlichen Protagonisten vor Hunger, Verfolgung und dem sicheren Tod fliehen und dabei einen ganzen Kontinent durchqueren. Also etwas, was der Wirklichkeit zweifellos bevorsteht und noch in den nächsten Jahrzehnten seinen Anfang nehmen wird bzw. teilweise bereits geschieht. Hat man das verinnerlicht, fällt es nicht schwer, von diesem Roman berührt zu werden, aber man kann natürlich auch für die FAZ schreiben und es sein lassen. Stattdessen beinhaltet die ekelhafte Rezension von Wolfgang Stuhl Steuhl nichts anderes als Affirmation des Bestehenden und krasses Verdrängen globaler Realitäten. Dieser Kasper greift Lessing quasi dafür an, dass sie einen pessimistischen Blick auf die Zukunft der Menschheit wirft, weil – Achtung! - das ja „ein alter Hut“ sei, „zumindest unter Misanthropen, Kulturpessimisten und sonstigen Sauertöpfen .“ Wahnsinn. Da tut eine Autorin mal etwas Sinnvolles, nämlich zu illustrieren, wie sich die Unterwerfung und Ausbeutung der Natur auswirken kann, und wird dafür als Spaßbremse abgewatscht. Im Feuilleton einer als anspruchsvoll wahrgenommenen Zeitung. Es wird aber noch besser. Immer weiter wirft dieser Narr der Geschichte zuviel Ernsthaftigkeit vor und wertet ab, dass die Menschen „bis auf wenige Ausnahmen, zänkisch, haßerfüllt und machtgierig“ dargestellt seien. „In der Herrschaft über die Provinzstädte wechseln selbstgefällige, bigotte und korrupte Machtcliquen sowie deren jeweilige Spitzelsysteme einander ab; und in manchen Landstrichen wogt ein Dauerkrieg hin und her.“ Ja, wie unrealistisch und schwarzmalerisch! Unglaublich, dieser Typ. Zur Krönung zeigt er uns auch noch auf, was da ja gänzlich fehlt, nämlich „Zentralgewalten mit zivilisierendem Einfluß“, aha, das wünscht sich Stuhl also, schön, wie die postkolonialen Botschaften von Lessing bei ihm angekommen. Natürlich ist Wolfgang Stuhl nicht per se zu blöd, um zu begreifen, wie gefährlich und fast schon verbrecherisch es ist, Leute sauertöpfisch zu nennen, die auf universelle Missstände hinweisen, aber als Teil des gleichgeschalteten deutschen (und damit kolonialen) Journalismus darf er natürlich nicht finden, dass weltweite humanitäre Katastrophen ein ernstzunehmendes Problem sind, sondern sich darüber lustig machen, wenn Doris Lessing schreibt: “Die Menschen haben wirklich immer eine Tendenz, zu glauben, daß das, was sie haben, ewig so weitergehen wird.”
Wolfgang Stuhl ist mir total wurst, aber er dient als gutes Beispiel dafür, wie leicht es möglich ist, alles schönzureden und sich selbst zu täuschen, wenn man eine unbequeme Wahrheit nicht akzeptieren will. Genau wegen sowas gibt es eine gewaltige Gruppe von Leugnern des Klimawandels, denn würden die von ihrem wahnsinnigen Standpunkt abrücken, würden sie damit zugeben, dass die Natur eben nicht beherrschbar ist (was sie selbstverständlich nicht ist) und dass andererseits der entfesselte Turbokapitalismus, der das ignoriert, unter die größten Verbrechen der Menschheit gezählt werden muss (ebenso selbstverständlich). Dann lieber Milliarden in falsche Propaganda investieren.
Und dann? Alles, was umweltpolitisch passiert, bewegt sich entweder in den lächerlich ohnmächtigen Gefilden der Konsumkritik (die teilweise natürlich auch angebracht ist) oder denen irgendwelcher esoterisch-dogmatischen Hippies und zieht damit andererseits noch mehr (ebenfalls angebrachte) Kritik auf sich, so dass einer der dringendsten und folgenschwersten Fragen letztlich noch nicht die geringste emanzipatorische Antwort gegeben wird. Oben zitierter und von Stuhl verhöhnter Satz ist einer der wahrsten und wichtigsten, die jemals gesprochen wurden und trotzdem stehen die Chancen in vielen Kontexten hoch, sich damit unbeliebt zu machen. Die Spaßbremsen-Dynamik hat bis tief in die Gesellschaft gefunden, sich gepaart mit Hedonismus, Verzweiflung und Ohnmacht. Gut, dass Doris Lessing das nicht mehr erleben muss. Und Lemmy auch nicht (das wars jetzt aber wirklich mit dem Thema).
Unfreiwillig komisch ist der Roman übrigens tatsächlich manchmal, zumindest auf Deutsch, wo man ständig über Sätze wie „Dann ging Mara auf die Nerven“ oder „Dann kaufte Mara ein“ stolpert. Aber da kann ja nun niemand was dafür, noch nicht mal Wolfgang Stuhl.