15 Nov 2015
Der Elefant macht alles, aber nicht Töröö
[Triggerwarnung: Im folgenden Text werden Fachbegriffe wahrscheinlich falsch verwendet]
Den innersten Drang zum Schreiben, die Essenz eines jeden Publizierenden (zB Grillmöbel) also, erweckt in kruder Regelmäßigkeit das Reisen mit der Deutschen Bahn. Natürlich nicht, siehe vorhergehende Reiseposts, wegen malerischer Landschaften oder famoser Begegnungen, nein, wie immer sind es die innersten Zerwürfnisse der Gesellschaft, die mich an mein mit Feder und Tinte bespicktes Schreibpult dräuen lassen. Ich schließe im Folgenden wie üblich von einem konkreten Beispiel auf allgemeine Strukturen; die Philosophen an der Universität haben da sicher ein Wort dafür, egal jetzt, und das mag keine gute Methode zur Wahrheitsfindung sein, aber letztlich ist Gesellschaftsanalyse niemals beweisbar, sondern nur zutreffend oder eben nicht. Ebenso sind Pauschalurteile zwar natürlich abzulehnen, aber es gibt durchaus Dinge, bei denen akkurates Differenzieren nicht notwendig ist, Dinge, die über einen Kamm geschoren geschert gehören, wie zB Hollywoodstars, Königshäuser oder Parteien. Und außerdem, und hier wende ich mich an die Leute, die ihre Zeit mit völlig sinnlosen philosophischen Fragen verbringen wie „Was können wir wissen?“ (Nichts, aber was soll ich aus so einer blöden Antwort ableiten?) , „Gibt es einen Sinn des Daseins?“ (Natürlich nicht, aber auch mit dieser Antwort können wir nichts anfangen) oder „Was ist das Sein?“ (Das Nonplusultra der vagen Begriffe, herzlichen Glückwunsch), kann man kategorische Urteile nicht kategorisch ablehnen, weil das ja dann ebenfalls ein kategorisches Urteil wäre und man somit das eigene Axiom nicht befolgte, yeah. Philosophie sollte keine andere Aufgabe haben als die schon erwähnten Zerwürfnisse der Gesellschaft zu erkennen, um dagegen vorzugehen, stattdessen wird sie (natürlich) betrieben wie ein Business und diejenigen Menschen, die sie um des Zieles einer besseren Gesellschaft willen anwenden, stehen im Buchladen zwischen den neuesten Ergüssen religiöser Schwafler und irgendwelchen Fatzken wie Eckart von Hirschhausen. Dadurch, dass sie nun Teil eines Fachbereiches sind, sind plötzlich alle gleichwertig, so dass die karrieretodgeilen Alphastudenten einfach alle lesen und auswendig lernen können, denn Erkenntnisse müssen heute nicht verinnerlicht oder mit Praxis versehen werden, sondern akkumuliert.
Zurück zum Zugfahren. Die Situation stellt sich wie folgt dar: Ein Fernzug fällt aus, die Betroffenen steigen in den nächsten, der damit doppelt so voll ist wie ursprünglich beabsichtigt, was man eine ungewöhnliche Situation nennen könnte. Ungewöhnliche Situationen produzieren in diesem System im Allgemeinen und bei der DB im Besonderen stets extrem gewöhnliche Reaktionen. Das Chaos, das, üblicherweise durch wirre Sitzplatzbeschriftungen bereits schwelend, nun doppelt auf den Insassen des Zuges lastet, hat ungewohnte Ausmaße, denen das Zugpersonal mit äußerst gewohnter Härte und Uneinsichtigkeit begegnet. Die Situation braucht einen offenen Umgang und Improvisation, die Bahn verschließt die erste Klasse und macht alles wie immer. Und so ist die Hälfte des Zuges mit so vielen Fahrgästen unterwegs, dass die Böden knarzen, während in der anderen Hälfte die Besseren etwas genießen, was es eigentlich nicht geben kann bei Reisen, aber man sich aber dank DB für Unsummen erkaufen kann, nämlich die Garantie, bei Reisen allein zu sein (in der ersten Klasse, die mit jedem in der zweiten Klasse stehenden Fahrgast exklusiver wird).
Es zeigt sich hier aber noch mehr als bizarre Geldgier und Systemloyalität. Im Gedankenexperiment, wo ich dem weltanschaulichen Wahnsinn des entfesselten Turbokapitalismus so wenig Platz wie möglich zugestehe, zeigt sich die Situation so. Ein Zug fällt aus. Wenn nicht gar selbstverschuldet, so ist es zumindest Verantwortung der Verantwortlichen, damit umzugehen, was auch in der Realität passiert, solange die starren Hegemonien von Geld und Hierarchien nicht angerührt werden. Sie könnten die erste Klasse öffnen, sie könnten jedem ein Getränk spendieren oder durchsagen: „Heute kontrollieren wir nicht, denn wir haben Mist gebaut und können es verkraften, wenn jetzt Leute schwarzfahren.“ Sie könnten irgendetwas versöhnliches tun, irgendetwas, was signalisiert, dass es sich hier um eine menschliche Situation handelt. Nichts davon geschieht, keine Frage, aber das Erschreckende daran ist doch, wie undenkbar diese im Grunde nur netten, menschlichen und ganz und gar schadlosen Gesten sind. Wie kann es sein, dass die Norm dort, wo Menschen aufeinander treffen, Menschlichkeit ausschließt? Wie entmenscht sind Wörter wie Dienstleistung, Geschäft oder Kundin? Warum lasse ich mich so behandeln und manifestiere das Wünschenswerte im Undenkbaren?
Es ist kein Schock und der Schock besteht genau darin, dass es keiner ist.
PS: Ich komme aus einer Familie mit langer Tradition zum Trainspotting.