07 Jan 2015
I've been bullied in school and I've turned out a bully-massacring serial killer
On the road sein kann man auch, wenn man nicht Sal Paradise heißt und an dieser ganzen Beatliteratur mag ich vor allem, dass sie ungefähr so zielführend ist wie dieser Satz, nämlich überhaupt nicht. Doch wie bei allem kann man in diesen Zeiten schwer richtig unterwegs sein im Falschen, weshalb das Übliche her muss, ein Kompromiss, der einen weiteren winzigen Teil der gefühlten (Rest-)Freiheit zerstört. Es könnte schlimmer sein, denkt man vielleicht, bis man irgendwas liest, wo Leute reisen und was schon alt ist (also nicht in diesen Zeiten), zB Hesse oder Van der Lubbe (Reichstagsbrand). Ich brauche dazu auch nicht großartig was zu sagen, denn dass freies Reisen mal existiert hat und offensichtlich zu großen Teilen dem Kapitalismus geopfert wurde, ist alles andere als ein Skandal und nur dazu sind wir freien Medien doch da, geld gelt? Irgendwie nerven mich da alle, sowohl die hierarchisch von den anderen abgetrennten 1.Klasse-Bonzen als auch die angepassten Massen, die einfach nur unsäglich langweilig sind als auch Leute, die (Obacht: den Rest dieses Satzes bitte mit einer möglichst verballhornenden Stimme vorlesen) mit dem Rucksack durch Südamerika reisen. Und da mich alles nervt, lege ich mich auch selbst nicht auf ein Reisekonzept fest und reise mal ICE, mal Regionalzug (am liebsten ODEG), mal Mitfahrgelegenheit, mal per Anhalter_in, mal Bus und (wenn es eine Insel ist) auch mal Flugzeug. Ja, ich reise auch mal Flugzeug.
Um in meiner Antihaltung konsequent zu sein, fahre ich auch gelegentlich in der 1. Klasse, allerdings erst in der Zukunft, nämlich sobald dieser Blog mir genügend Geld bringt. Bin sehr gespannt, wies da aussieht, obs da auch überfüllt ist und so. Naja. Dieser Text dreht sich nun plötzlich und ohne Überleitung (vielleicht aber mit Oberleitung, höhö) um eine Unterhaltung, die sich mir im letztbenutzten ICE in grenzüberschreitender Weise aufgedrängt hat (aber in der 2. Klasse) und die ich hiermit verarbeite. Der Arbeitstitel meiner Notizen lautet, wie ich gerade sehe, „Blöde Mutter im Zug über Arbeit“ und trifft die Essenz dieses Erlebnisses sehr gut. Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Ich sitze auf einem Zweier hinter einem Vierer (Slangbegriffe für ICE-Sitzmodule). Auf diesem Vierer sitzt irgendwer irrelevantes und nebenan, über den Gang hinaus ist noch ein Vierer. Da sitzen eine Frau (jung), ein Mann (jung), ein Kind (egal) und eine Mutter, so sie selbst über sich, eine solche Benennung würde ich niemals tätigen. Der Typ labert nicht ganz so viel Gülle, aber die beiden anderen Redenden gehen nur ab. Das lässt sich zB daran sehen, dass beide in den 3 Stunden, wo ich mir das anhören durfte, ausschließlich über Karriere reden. Die blöde Mutter erzählt in einem stolzen Tonfall, dass ihre Arbeit (irgendwas mit Wirtschaft und Unternehmen und Meetings und Trainings und Teamwork) sie total überfordert und sie für so gut wie nix anderes Zeit hat. Die scheiß andere Person, nennen wir sie „scheiß andere Person“, redet nur davon, wieviele Praktika sie in und nach ihrem (Überraschung!) Studium absolviert hat und dass sie ja statt eines verlangten 2-Monate Praktikums eins mit 6 Monaten gemacht hat, weil „man ja für 2 Monate erst gar nicht zu suchen braucht“. Aus dem, was sie sagt, muss man schließen, dass sie sich möglichst hocharbeiten will. Das Ding ist nur, dass sie nie sagt „ich will … xy“, sondern immer „wenn man xy will, dann muss man ja…“. Beide schaffen es, jeweils sehr viel (unfassbar uninteressantes) von sich zu erzählen, ohne dabei jemals eine Brücke zu der anderen Person zu schlagen, was wahrscheinlich nur Deutsche so vollendet vermögen (das bleibt das einzige Deutschenbashing heute in diesem Post). Wäre das nicht echt, würde ich diesem Maß kunstvollen Aneinandervorbeiredens Beifall, äh, zollen. Doch manchmal schaffen sie es doch: Die blöde Mutter erzählt nun, dass ihre Besprechungen 4 Stunden dauern können woraufhin sich erstmals etwas entwickelt, was man Dialog nennen könnte. Er sei hier wiedergegeben:
Die blöde Mutter (stolz): „Ja und manchmal dauern die Besprechungen 4 Stunden.“
Alle (demütig): „Woooh!“
Das Kind (weise): 4 Stunden? Wir haben 5 Stunden Schule!“
Die blöde Mutter + die scheiß andere Person (im Chor): „Aber die Mama muss davor und danach ja auch noch arbeiten, harhar!“
Alle lachen, weil das Kind so etwas Dummes gesagt hat.
Hoho, die Erwachsenen haben was zu Lachen, helau! Die Frage ist nur, worüber lachen sie? Darüber, dass Mama langsam an ihrer Arbeit kaputtgeht oder dass ambitiongirl alles in ihrer Macht stehende dafür tut, dass sie das eines Tages auch endlich kann? Wenn ich länger drüber nachdenke, finde ich es auch witzig. Doch dann spitzen sich meine Ohren, denn die scheiß andere Person gibt auch noch eine Anekdote zum Besten. Sie versteht nämlich jede Menge von Erziehung und erzählt von der Tochter einer Freundin, wo die Lehrerin in der Grundschule Krebs hatte (die blöde Mutter tut, was von ihr erwartet wird und gibt ein kurzes „Schlimm“ von sich) und die Kinder deswegen oft Vertretung hatten. Jetzt kommen bei DBM echte Gefühle hoch: „Oh, Vertretung in dem Alter, nee, das ist nicht gut für die Kinder“. Überhaupt ist für sie jede Aussage ganz klar, sei es über Erziehung oder über Hotelbewertungen (heute nicht Thema). Ausdrucksformen wie „Ich denke, …“, „Vielleicht…“, „Meiner Meinung nach…“ kennt sie nicht, wahrscheinlich, weil die Firma ihr die bei ihren 4-stündigen Meetings abgewöhnt hat. Die Story geht aber noch weiter. Da waren nämlich Ausländer in der Klasse, die nicht so gut deutsch konnten (ausgerechnet!) und das war natürlich schlecht für die anderen Kinder. Boah was, erst Vertretungslehrer, jetzt auch noch nichtdeutsche Kinder! Wie soll da irgendwer lernen? Für DBM und ambitiongirl besteht die Lösung darin, sich darauf zu einigen, dass das kein Zustand ist: auch schön! Puh, bei soviel Ignoranz brauche ich mal kurz ne Pause. So, jetzt geht’s weiter. Die blöde Mutter hat aber nicht nur Ahnung von Kindern („Als das Kind kam, war das aber alles, das wilde Leben, vorbei“) und sozialen Missständen („Das Schlimmste ist Intoleranz“), sondern auch von Politik, also von Wirtschaft:
„Die Wirtschaft hat zuviel Macht. Bei uns war das ja noch nicht so, aber jetzt hat die Globalisierung das Ganze eskalieren lassen.“Alter, du bist vielleicht 10 oder 15 Jahre älter als die scheiß andere Person und boah wow, die Erkenntnisqueen schlägt wieder zu! Warum stochern die Leute, die sich mit sowas auskennen wollen, eigentlich dauernd in den plattesten aller Gemeinplätze herum und wundern sich dann, wenn sie bei Grillmöbel landen?
Ich kann nichts tun außer dem folgenden Dialog entgegenzuhalten:
A: Und wo sehen Sie Ihre berufliche Zukunft?
B: Ich möchte langfristig von an Feiertagen unternommenen Raubzügen leben können.
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Was sagt mobil dazu?
mobil befragt Expert_innen zu den Trends, die 2015 zu erwarten sind. Neben Bullshit wie „Werden Bars die neuen Clubs?“ und Bullshit wie „Crossfit war gestern – wie bleiben wir 2015 fit?“ und so Modebullshit gibt es auch Bullshit wie „Welches Studium soll ich 2015 beginnen, damit sich die Arbeitgeber 2020 um mich reißen?“. Tja, und was sagt die Expertin?
„Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Besonders gute Chancen hat auf jeden Fall, wer Berufserfahrung vorweisen kann, zum Beispiel durch eine Lehre vor der Hochschule oder durch ein duales Studium. Ein Bachelor-Studium sollte möglichst breit angelegt sein. Am besten das eigene Interesse mit einem für die Wirtschaft relevanten Fach kombinieren. Weil die Globalisierung uns unter Innovationszwang setzt und wir strategische Denker brauchen, sind vor allem solche Studiengänge vielversprechend, die etwa Wirtschaft mit Philosophie, Design oder Innovationsmanagement verknüpfen. Im Master-Studium rate ich dann zu einer Spezialisierung auf eine Branche oder auf eine bestimmte Kompetenz.“
Ui, auf eine bestimmte Kompetenz also! Aha! Hm und die, denen die Wirtschaft sagt, dass ihre Interessen nicht relevant sind, können ja einfach was anderes machen, aber bevor sie anfangen, Berufserfahrung zu sammeln, sollten sie auf jeden Fall mindestens 50 Megatonnen Berufserfahrung gesammelt haben, damit die Globalisierung ihnen keinen Strich durch die Rechnung macht. Aber insgesamt einfach klasse, wie sich alle einig sind. Go, ambitiongirl!