02 Jan 2015
Warum mag Jens Rachut The Wire nicht?
Das Falsche hat viele Gesichter, in der Tat, und ich finde es wichtig, dass es ein Falsches gibt und wenn das dann noch als das definiert wird, was Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde zuwiderläuft, könnte ich zufriedener nicht sein. Dieser ganze postmoderne Quatsch von wegen „Jenseits von Gut und Böse“ oder „Es gibt kein Wir und Ihr“ geht mir total auf die Nerven. Klar ist es gefährlich zu generalisieren und klar sind Probleme komplex, aber genauso klar wird sich nichts ändern, wenn „die Leute mal umdenken würden“ (z.B. sauberer Strom, Biobla, Plastikverbrauch etc.), schon alleine, weil die meisten nicht die Mittel haben, umzudenken. Außerdem nutzt umdenken ja nichts, wenn die Macht nicht dort ist, wo umgedacht wird. Und hier ist wichtig, zu sehen, was das Falsche ist, nämlich ein System, was diejenigen, die z.B. ein Problem in ökologischen Katastrophen sehen, die Schuld auf andere (meistens ärmere) schieben lässt, anstatt vielleicht mal ebenjenes System zu hinterfragen, was doch sehr offensichtliche Bosheiten begeht. Doch auch wenn diese immer offensichtlicher werden (Wir spielen nicht nur gut Fußball und machen lecker Essen, wir exportieren auch Waffen an Diktaturen, nur ein Beispiel Wie krass ist das, dass da nicht Hunderttausende auf den Straßen sind? Wird man in so einen eingelullten Zustand hineingeboren, merkt man das nicht mehr, aber dass sich eine Regierung sowas überhaupt leisten kann in diesen Zeiten zeigt, wie alles den Bach runter geht. Und mit alles meine ich das, wo Macht ist, denn da, wo keine Macht ist, geht auch viel bergauf, aber komischerweise fast nur da, hm, was sagt uns das?), folgt Skandal auf Skandal und alle denken und sollen denken, das gehört halt dazu. Jetzt reicht’s aber damit. Die Taz hatte als Weihnachtsspecial getitelt: „Wird schon. 15 Sonderseiten zum Thema Hoffnung“, wo angeblich zahlreiche Geschichten von positiven Entwicklungen gesammelt sein sollten. Das war dann auch so, allerdings in einem Duktus irgendwo zwischen Gesülze und Anpassung, der sowas zu sagen schien wie „Die Welt ist scheiße, aber der Taz-Redaktion jedenfalls fällt das richtige Leben im Falschen gar nicht mal so schwer, zwinker zwinker.“ Tja, die haben eben auch aufgegeben, weil radikal kritische Medien im Kapitalismus natürlich nur nichtkommerziell funktionieren können. Aber radikale Zeiten brauchen ebensolche und vor allem unangepasste Meinungen (und hin und wieder einen Reichstagsbrand). Weiter zu Gut und Böse: Man könnte und kann mir natürlich vorwerfen, Luxusprobleme zu beklagen und anbringen, dass es uns (=Papstweltmeistern) hier doch gut geht und dass ich doch auswandern soll, man braucht ja keine Deutschenfeinde in Deutschland, wozu auch. Ich halte sowas erwartungsgemäß für dummes Gewäsch. Klar gibt es sowas wie Yodok, eins von 6 nordkoreanischen Konzentrationslagern, über das ich gerade ein Buch gelesen habe und Guantanamo ist auch immer noch in Betrieb. Achso und der ganze Krieg. Ich muss gar zugeben, dass sich mir den obigen ähnliche Gedanken einstellten, als ich das Buch über Yodok fertig hatte. Wie kann ich mich beschweren, obwohl ich doch jeden Tag 5, 6, 7 Mahlzeiten zu mir nehme, ein eigenes Zimmer habe mit Speckhandschuhen und allem Drum und Dran, wenn ich nur einmal in die Hände klatsche? Zum Glück bin ich ja nicht ganz so eingelullt und habe das auch schnell wieder raus aus meinem Kopf bekommen, denn 1. bin ich ja nunmal hier und kann und muss daher kritisieren, was hier falsch läuft, außerdem ist 2. eine solche Denkweise natürlich ein nationalistischer Auswuchs und damit FALSCH, da sie leugnet, dass die Geschichte aller Menschen zusammenhängt (und der gute Reichstag hing da schon genug mit drin, nicht wahr, wie wärs eigentlich mal mit einem Reichstagsbrand?). Es ist nämlich noch nicht lange so, bzw. ist es immer noch nicht so, dass in Deutschland dasunddas passiert und in Ägypten dasunddas und in Nordkorea dasunddas. Das dürfen wir (≠Papstweltmeister) nicht vergessen, auch wenn die beschissenen Staatsgrenzen das verwischen sollen. Nicht zuletzt deswegen fehlt vor allem Aufarbeitung. 3. schließlich kann man ja auch schlecht ignorieren, dass Kapitalismus global funktioniert, also global Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde einschränkt und zerstört (damit FALSCH ist, übrigens. Höchstens im Falle von Yodok könnte man zumindest darüber streiten, das Buch allerdings sagt, dass er auch dort Einzug gefunden hat). Kapitalismuskritik ist immer eine Forderung nach dem Guten und ein Ausdruck, es selber aufbauen zu wollen. Und da ich den Keksphilosophen Leibniz immer noch blöd finde, glaube ich nicht, dass das hier die bestmögliche aller Welten ist (So ein Unsinn!), sondern dass es über 190 willkürlich abgegrenzte Bereiche auf dem Planeten gibt, in denen es unterschiedlich scheiße läuft. Warum nicht fordern und anstreben, dass es überall besser wird, nicht nur in den schlimmsten davon? Erst recht, wenn alles schön überall drinsteckt. Außerdem: Solange alle denken, dass „anderswo ist es schlimmer“ „hier ist es gut“ bedeutet, wird weiterhin fleißig das „hier ist es gut“ mit Waffengewalt exportiert werden dahin, wo „es schlimmer ist“. Und ich meinerseits will nicht, dass es nachher zwar kein Yodok mehr gibt, aber dafür über 190 BRDs. Bäh, was für eine Ekelvorstellung! Nein, das machen wir anders, bitte.