09 Jun 2014
Die Bedeutung von Pfingsten
Vieles könnte ich schreiben über das Black Sabbath-Konzert, von dem ich gerade komme. Dass es natürlich nicht nur eine Musikveranstaltung (bzw. Musikfolge einer Kapelle, mit der GEMA gesprochen, wenn die hier was zu sagen hätte, hat sie aber nicht) war, sondern ein interaktives, multimediales Metal-Spektakel der Spitzenklasse, mit einer überkinodimensionalen Effektleinwand und massig Kameras, wo so gekonnt gescreent wird, dass nun wirklich jede_r der 16.546 (Zahl willkürlich) Menschen in der Wuhlheide die künstlichen Fingerkuppen des Gitarristen aus einer Nähe sehen kann wie selten die eigenen und das schwarze Hemdchen, das eigentlich Ozzy Osbournes Körper verstecken soll, dieser Funktion nicht mehr nachkommen kann, zu leistungsstark sind die Zoom-Einstellungen, da zeichnet sich alles ab, immerhin sind alle in schwarz gekleidet, da sind wenigstens die Schweißflecken unsichtbar, die definitiv da sind, tragen Tony Iommi und Geezer Butler doch tatsächlich lange Mäntel, es ist unglaublich, dass jedenfalls die Kameras das alles hautnah den Zuschauenden mitteilen dank des zwingenden Spektakelcharakters einer solchen Über-50-Euro-Veranstaltung, wie sonst wäre ein solcher Preis zu rechtfertigen, oder dass Ozzy (kurz für Ozzy Osbourne, den britischen Rockmusiker) nur bei 3 Songs die Töne annähernd trifft (Rekordschieflage bei “Dirty Women”: 3 Halbtöne, Durchschnitt: 1 Halbton) und wie interessant, aber auch gerechtfertigt es ist, dass sich niemand daran stört, denn wer sollt e sonst singen, oder dass der Bassist klischeegemäß wenig repräsentiert wird, dafür aber nicht weniger klischeegemäß die coole Sau der Band darstellt, vor allem eine Sau, die körperlich auch in der Lage ist, das zu tun, was Lieder wie “N.I.B.” oder “Behind the wall of sleep” basstechnisch verlangen, das könnte man schon schreiben, oder auch, wie enttäuschend durchchoreografiert manches wirkt und sicher auch ist, oder dass die Illusion einer stabilen und vermarktbare Bandbesetzung auf bizarre Weise sogar über die Realität hinaus aufrecht erhalten wird, in der Form, dass gelegentliche Keyboards oder Rhythmusgitarrenparts von einer fünften unbekannten Person übernommen werden, die ihr Instrument möglichst unsichtbar zwischen dem Bühnenfachwerk aufbauen und bespielen darf, aber zu keinem Zeitpunkt auch nur erwähnt wird, geschweige denn in dankender Art und Weise, diese Person zu sein stelle ich mir unbefriedigend vor, Black Sabbath hin oder her, oder dass sowas wie Spontaneität völlig fehlt, Schlagzeugsolo als Pause für die ältere Bühnengeneration,”Paranoid” dudelnd als Zugabe, sexistische Kackscheiße füllt erwartungsgemäß den Screening-Hintergrund bei “Dirty Women” (Jahrhunderte feministischer Praxis ignorierend), erschreckend viele Songs verkommen zum Intro anderer Songs, die für 66-jährige wohl einfacher falsch zu singen sind, ja, vieles ist offenbar hängengeblieben bei Black Sabbath live im Jahre 45 nach The Polka Tulk Blues Band und Earth, auch dass die wenigen Bewegungen, die Ozzy dem Publikum vortanzt, schnell langweilig werden, dass das ständige Segnen nervt und der Höhepunkt des Drumsolos die 15 Sechzehntel sind, die unerwartet auf der Kuhglocke landen, dass überhaupt der Drummer (natürlich) niemals ins Bild passt, das Frischfleisch, das -gerade von der Musikhochschule eingeflogen, wo es Schlagzeug, Klavier, Gesang und noch mindestens 4 andere Instrumente studiert hat (so funktiioniert Musik nämlich heute, emotionale Bindung und Improvisation werden gelehrt)- alle Black Sabbath-Songs auf Anhieb ohne Blatt vom Blatt spielen und sie dabei noch mit Sticktricks und der gewünschten Mimik unterlegen kann. Das alles könnte ich schreiben und habe ich jetzt auch geschrieben.
Und dann 3 Momente:
- der Anfang von “War Pigs”
- Ozzy Osbournes Gesichtsausdruck, nachdem das Publikum ein Lied vom neuen Album nicht nur wohlwollend entgegengenommen, sondern inbrünstig mitgesungen hat
- die Ansage “I wanna hear you shout ‘One more song’ right now!” unmittelbar nach dem letzten Lied
All das hat mich nicht im Geringsten gestört. Warum, liegt auf der Hand. Während in Zeiten wie diesen ebensolche Frischfleischmusiker_innen, die gelernt haben, alles perfekt zu beherrschen, inklusive Songwriting-Techniken und Stageflow, nun, eben wie der Typ an dem merkwürdig symmetrischen Black Sabbath-Schlagzeug, sich gleichsam zu Hypergroups vereinen und hierzulande Schlagerstars (Unheilig, die Ärzte) sich für keinen Pathos-Quatsch zu schade sind, hatten 1969 (zumindest in meiner Vorstellung) ein paar Amateure, für die es etwas Besonderes war, eine Gitarre auch nur anzufassen, eine gute Idee, z.B. den Tritonus zu einem Lied (“Black Sabbath”) zu verarbeiten, haben sich daraufhin noch ein paar Fingerkuppen besorgt und los ging es. Klar ist das verklärt, aber das macht es nicht weniger wahr.
Oder anders: In einer Zeit, wo Helene Fischer playbackgestützt “großes für unser Land leistet” (BILD, garantiert irgendwo), muss man sich nicht wundern, dass 16.654 (Zahl willkürlich und auch noch vertippt) Leute jubeln, wenn Ozzy Osbourne 2 mal aus der Hocke einen Sprung macht. Keine Glorifizierung des Publikums, das waren durchaus die üblichen Bier-macht-mich-noch-männlicher-Vollpfosten.
Alles, was ich beschrieben habe, ist irgendwo irrelevant, weil in meinem Kopf für 2 Stunden ausschließlich das hier stattfand: “Da vorne stehen die Leute, die 1970 diese beiden Alben herausgebracht haben, und sie spielen Lieder von genau diesen Alben. Deren Rolle für Doom, Prog, Metal überhaupt unmöglich zu überschätzen ist und die mit “Paranoid” quasi die gesamten 80er schon 1970 vorweggenommen haben.”
Aus dieser Perspektive gesehen wirkt die Dialektik Wunder, denn so groß das Potenzial zum berechtigten Herumkritisieren ist, so wenig kann es die intrinsische Schlagkraft dieses Gedankens auch nur um einen Deut schmälern.